Celine Marie
Celine ist unser 2. Kind. Als ich mit
ihr schwanger wurde, war ihr Bruder erst gearde 5 Monate alt. Die
Nachricht dieser neuen Schwangerschaft stresste mich völlig, war
ich doch gerade im Begriff mich an mein erstes Baby zu gewöhnen.
Der Gedanke an ein zweites Kind war überwältigend. Ich war
zu stark mit meinen eigenen Gefühlen beschäftigt, um an
dieses kommende Baby zu denken, Besuche beim Gynäkologen,
Ultraschalluntersuchungen, Babyeinkäufe usw. Konnten mich nicht
begeistern. All dies veränderte sich beimUltraschall in der
22.Schwangerschaftswoche. Auf einen Schlag wurde mein Baby zum
Zentrum meines Universums.
Während dieser Untersuchung
erfuhren wir, dass unser Baby schwere strukturelle Herzprobleme hat.
Die Gynäkologin sagte uns, dass sie die eine Herzhälfte
unseres Baby‘s nicht finden könne. Es leide wahrscheinlich
am hypoplastischen Linksherzsyndrom (HLHS), was bedeutet, dass es
lebensunfähig sein würde. Ich erkundigte mich nach der
Möglichkeit einer Operation in utero, die Gynäkologin
schüttelte aber nur den Kopf. Später vernahm ich, dass etwa
zur gleichen Zeit eine solche experimentale Operation an Baby Jack
mit Erfolg durchgeführt worden war. Ich fragte weiter, ob mit
dem Baby sonst alles in Ordnung sein würde bis zum Ende der
Schwangerschaft. Ich fühlte mich völlig hilflos.
Die Gynäkologin sagte uns, dass
wir eine komplexere Ultraschalluntersuchung durchführen müssten,
wir sollten aber keinen anderen Befund erwarten, da der Spezialist
das gleiche Ultraschallgerät habe wie sie. Es blieb uns nicht
viel Hoffnung übrig…
Der Perinatologe bestätigte die
Diagnose unserer Gynäkologin. Er klärte uns über die
uns nun offen stehenden Möglichkeiten auf :
- einen sofortigen Schwangerschaftsabbruch,
- abwarten auf eine natürliche Geburt und Fürsorge und Pflege bis zum Tod unseres Baby‘s
- einen Fötalkardiologen konsultieren, um die Durchführbarkeit und Kosten einer Operation oder Transplantation zu besprechen.
Wir müssten die Entscheidung so
schnell wie möglich treffen, da für einen legalen
Schwangerschaftsabbruch nur noch wenig Zeit übrig bliebe. Wir
wollten aber die Schwangerschaft nicht abbrechen und glücklicherweise
versprach uns der Perinatologe, diese Möglichkeit nicht mehr zu
erwähnen.
Wir vereinbarten also einen Termin mit
der Kardiologin. Unser erster " Treffen " wurde mit Hilfe
Bildschirmassistenz auf Distanz durchgeführt. Eine
Ultraschallassistentin auf unserer Seite führte die Untersuchung
durch und die Kardiologin verfolgte die Resultate auf einem
Bildschirm in ihrer Praxis. Ich versuchte ihre Gesichtsausdrücke
zu analysieren, währenddem sie auf das Aufblitzen der blau-roten
Wirbel schaute, die über das Bild unseres Babyherzchens zuckten.
Die bunten Wirbel und pfeiffenden Töne, die von meinem Bauch
ausgingen, wurden immer wieder unterbrochen, durch untröstliches
Schluchzen meinerseits. Ich entschuldigte mich jedes Mal, aber die
Assistentin meinte, sie hätte sich Sorgen gemacht, wenn ich
nicht so reagiert hätte.
Als wir wenig später die
Kardiologin persönlich trafen, fühlten wir sofort, dass sie
eine sehr positive Einstellung hatte. Ihre Haltung gab uns
Zuversicht, dass unser Baby leben würde. Sie würde einen
Weg finden, um uns zu helfen. Wir schöpften neue Hoffnung.
Sie stellte eine neue Diagnose,
hypoplastisches Rechtsherzsyndrom (HRHS). Mit Hilfe von unzählbaren
Skizzen wurden wir plötzlich in die Welt von Herzklappen und
-Kammern eingeführt. Unsere Aerztin verglich ihre Zeichnungen
vom Herzen unseres Baby‘s mit einem normalen Herz, um uns die
Schwere des Defekts aufzuzeigen.
Das Syndrom in unserem Fall, war eine
Sammlung von 7 verschiedenen, ernsthaften Herzfehlern:
Hypoplastischer Rechtsventrikel, Aortenisthmusstenose, Ebstein
Anomalie, "congenitally corrected L-Transposition of the great
arteries", und drei Septumdefekte, atriale Septumdefekte (ASD) und Ventrikelseptumdefekte (VSD). Um die Worte eines
Kinderkardiologen zu zitieren: unser Baby hatte ein "ernsthaft
verkorktes Herz!"
Aber trotzdem war die Diagnose dieses
Mal einfacher anzunehmen, weil wir nun einen zu verfolgenden Plan
hatten. Kurz nach der Geburt würde unser Baby die erste von drei
offenen Herzoperationen haben, die seinem Herzen erlauben würden,
mit nur einer Herzkammer zu funktionieren. Diese Operation, "Norwood"
genannt, würde die gefährlichste und
komplizierteste sein. Wenn ein Baby aber diesen ersten chirurgischen
Eingriff übersteht, stehen seine Ueberlebenschance nachher
bedeutend besser. Die 2. und 3. Operation , "Glenn" und "Fontan"
genannt, würden in Reichweite liegen, wir
getrauten uns aber noch nicht, weiter als bis zur ersten Operation zu
denken.
Wir hatten einen Plan, ein wunderbares
Aerzteteam, Hoffnung, und wir glaubten an Gott. Jetzt mussten wir nur
noch warten, dass unser kleines Wunder geboren werden würde.
Am 2. Oktober 2001, 3 Wochen zu früh,
kam Celine Marie auf die Welt. Weil sie am Namenstag der Schutzengel
geboren wurde, fügten wir ihrem Namen noch "Angelica"
bei. Sie war ein grosses Baby, mehr als 3,6 kg schwer und so
wertvoll. Ihr Schrei war laut und stark, überraschend stark. Auf
den ersten Blick schien sie ein wunderhübsches, gesundes,
normales Baby zu sein. Ich durfte sie nur ein paar wenige Augenblicke
in den Armen halten. Während das Pflegepersonal sich über
mein Neugeborenes beugte, versuchte ich ihnen über die Schultern
zu schauen. Dann rollten sie sie hinaus und mein Herz brach entzwei.
Wenn ich auch voller Hoffnung war, es war nicht zu leugnen, dass nun
alles begonnen hatte und das Risiko bestand, sie zu verlieren.
In ihrem kleinen Brutkasten wurde sie
sorgfältig überwacht. Auf den ersten Blick schien sie nicht
am richtigen Ort zu sein, ihre "Mitbewohner" waren
winzige Drillinge und Frühgeburten - und sie war wirklich ein
grosses Mädchen. Aber am selben Abend machten sich bereits die
Zeichen ihres Herzfehlers bemerkbar… sie wurde allmählich
blau.
Der Kardiologe klopfte an die Türe
meines Krankenhauszimmers und kam herein, gefolgt von mehreren
Kollegen. Ich sah ihn Papier und Bleistift hervornehmen, um mir eine
der inzwischen so vertrauten Skizzen ihres Herzchens zu zeichnen.
Unser Baby würde einen Herzkatheter brauchen, um zu verhindern,
dass sich das Foramen ovale (Oeffnung in der Herzscheidewand zwischen
dem linken und dem rechten Vorhof) schliesst. Bei einem gesunden Baby
schliesst es sich von selbst kurz nach der Geburt, aber in Celine’s
Fall musste es offen gehalten werden, damit sich das blaue und rote
(venöse und arterielle) Blut vermischen kann. Wenn der Katheter
nicht sofort installiert würde, würde er bezweifeln, dass
sie ihre erste Woche überleben würde. Heisse, schwere
Tränen rannen mir übers Gesicht und fielen auf das
gezeichnete Herz seines Notizblocks. Auch wenn dieser Eingriff nicht
sehr gefährlich war, war es so schmerzvoll zu hören, dass
sie dem Tode nahe war.
Als Celine 5 Tage alt war, sagte man
uns, dass man die Norwood-Operation sofort durchführen müsse.
Ich war schon von der Klinik entlassen worden und Celine musste mit
dem Krankenwagen in eine andere, weitentlegene Klinik gefahren
werden. Ich hatte solche Angst, dass ihr während dieses
Transports etwas zustossen würde, aber sie kam heil an.
Wir gingen so schnell wie möglich
zu ihr und es wurde uns mitgeteilt, dass sie am nächstenMorgen
operiert werden würde. Es blieb uns nur eine kurze Zeit der Qual
übrig, aber genug, um so viele Beter wie möglich
zusammenzutrommeln - und das machten wir.
Celine‘s Operation verlief sehr
gut, und auch wenn es 3 Wochen dauerte, genas sie sehr gut.Sie durfte
an ihrem geplanten Gebutstermin, dem 20. Oktober, nach Hause kommen,
ohne Ernährungssonde oder Sauerstoff!
Wir mussten vieles über die Pflege
eines herzkranken Baby‘s lernen - aber im Grossen und Ganzen
war es nicht so schwierig.
Schon bald gab es Ernährungsprobleme
und wir mussten ein Gerät mieten, um ab und zu den
Sauerstoffgehalt ihres Blutes zu überwachen. All das lernte ich
recht schnell. Unsere Versicherung hätte uns eigentlich eine
Heimpflege zur Verfügung gestellt, was ich ablehnte, weil es
nichts gab, was ich trotz fehlender medizinischer Ausbildung nicht
hätte tun können.
Ich weiss dass Eltern von Babies, die
eine Herzpoeration benötigen, sehr besorgt sein können. Oft
wird ihnen gesagt, dass offene Herzpoerationen sehr schmerzlich sind.
Natürlich braucht es Schmerz- und Beruhigungsmittel, ohne die
die Nachwirkungen einer solchen Operation qualvoll sein würden.
Glücklicherweise war unser Operationsteam sehr gewissenhaft in
Bezug auf Celine‘s Schmerztoleranz und während der
Erholungszeit nach den beiden ersten Operationen musste sie nicht
leiden. Es befinden sich keine Nerven in den Brustknochen, aber die
Muskeln, die bei einem Eingriff zurückgeschoben werden, können
nach der Operation Anlass zu Schmerzen geben. Celine kam nie mit
Schmerzmitteln nach Hause, da sie erst genug ausgeruht und geheilt
entlassen wurde. Ich bin sehr dankbar dafür, dass meine Tochter
nie an bedeutenden Schmerzen leiden musste, während diesen
chirurgischen Eingriffen. Und wenn es trotzdem mit Schmerzen
verbunden gewesen wäre, glaube ich, dass es die vorübergehende
Unbehaglichkeit wert gewesen wäre, um ihr Leben zu retten.
Wir haben nun die 2. Operation (Glenn)
hinter uns und Celine wurde gerade 1 Jahr alt ! Sie nimmt täglich
zwei verschiedene Medikamente, was problemlos geht. Wie viele andere
Herzbabies ist die Entwicklung ihrer Aufnahmefähigkeit und
verbalen Kommunikation ein wenig im Rückstand. Um dem
nachzuhelfen, gehen wir einmal pro Woche mit ihr in eine
Sprachtherapie.
Den Kardiologen sehen wir nur noch alle
paar Monate, anstatt alle 3 Wochen wie vorher, und auch ihr
Kinderarzt lernt, sich in ihrer Gegenwart zu entspannen und behandelt
sie nun meistens wie ein anderes, normales Baby.
Wir sind aber noch nicht am Ende
unserer Reise. Mit zwei Jahren (oder einem Gewicht von 10 kg) wird
Celine ihre dritte Operation haben.
Natürlich hat sie einen
Entwicklungsrückstand, aber trotzdem sind wir so stolz auf sie
und haben viel Freude an ihr.
Wenn wir an die Zeit der Diagnose
zurückdenken, war es schon eine schmerzvolle Zeit. Wir wussten
nicht was uns die Zukunft bringen würde - und wissen es heute
noch nicht!
Aber wir können unserer Tochter
alles geben, was sie braucht, um glücklich zu sein : eine
Familie, die sie liebt.
Und falls sie noch Zweifel haben : Ja …
sie ist immer noch das Zentrum meines Universums (so wie auch mein 2
jähriger Sohn) - und ich möchte es nicht anders haben! Sie
regiert, sicher und fest, als "Königin" unserer
Herzen.
Monica
Quelle: Be Not Afraid
(Kontaktmöglichkeit zur Mutter auf Englisch)
Letzte Aktualisierung dieser Seite: 03.03.2020