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Finn

Finn, Baby mit dem Potter Syndrom

Am 7. November 2007 hielt ich den ertsen positiven Schwangerschaftstest meines Lebens in den Händen. Nach dem ersten "Schock" war unsere Freude riesen gross. Seit dem ich angefangen habe mit Kindern zu arbeiten, habe ich mir immer vorgestellt wie das mal sein wird, selber schwanger zu sein. Als ich zwei Tage später zum Arzt gegangen bin, war ich total aufgeregt und nervös. Auch der Test beim Arzt war positiv und ich bekam das erste Bildchen unseres Sohnes (was wir da natürlich noch nicht wussten).

Danach gab es erst mal ein paar Dinge zu regeln, wie z.B. den Arbeitgeber zu informieren. Dann stellte sich uns die Frage: Behalten wir die Nachricht für uns und warten wir erstmal ab? Zu diesem Zeitpunkt hatten wir diese ersten drei Monaten und das bekannte Risiko im Kopf, in denen ja noch viel passieren kann...

Die Frage haben wir aber ganz schnell wieder verworfen, die Freude war viel zu gross und ich konnte eine solche Nachricht eh nicht für mich behalten.

Die ersten Wochen der Schwangerschaft waren eigentlich ganz unkompliziert, keine grosse übelkeit oder dergleichen. Ich konnte es nur nicht abwarten, wann endlich der Bauch anfängt zu wachsen und ich mich nicht mehr nur schwanger "fühle". Ich wollte, dass auch andere Leute sehen, dass ich schwanger bin, so stolz war ich. Unser Kleines war ein richtiges Wunschkind, dass wir alle mit Freude erwarteten.

Jeder Arztbesuch war total aufregend und ich konnte es kaum erwarten das nächste Bild unseres Kleinen in den Händen zu halten oder ihn auf dem Monitor zu sehen.

Mit jeder Woche die verging, wurde ich mir immer sicherer, dass wir einen Jungen bekommen werden. Ich kann das nicht beschreiben, mein Bauch sagte mir es wir ein Junge. Auch meine Schwiegermutter und mein Vater teilten dieses Gefühl mit mir...

Als ich in der 12. SSW war, gaben mein Mann und ich uns das Ja-Wort, einer der schönsten und aufregendsten Tage unseres Lebens. Das Kleid hatte ich schon etwas eher gekauft und war froh, dass ich an unserer Hochzeit immer noch ohne Probleme hinein passte, man kann ja nie wissen, wie schnell das Bäuchlein dann auf einmal wächst.

In der 15. SSW war meine Mutter mit beim Arzt und wir beide waren uns hundertprozentig sicher, dass wir auf dem Monitor einen kleinen Penis gesehen haben!!! Der Arzt wollte sich natürlich noch nicht festlegen, es war seiner Ansicht nach noch zu früh, als dass er sich festlegen wollte.

Vier Wochen später waren mein Mann und ich gemeinsam beim Arzt, doch unser Kleiner war nicht der Meinung, dass wir jetzt schon die Bestätigung über sein Geschlecht bekommen sollten. Er bewegte zwar sein Händchen als wollte er uns winken, schlug aber die Beine feste übereinander!!!

Dann, in der 23. SSW wagten mein Mann und ich einen neuen Versuch und kaum war das Ultraschallgerät auf meinem Bauch, konnte selbst ein Mensch der sonst nichts auf diesen Bildern erkennt (mein Mann), einen gar nicht mehr so kleinen Penis erkennen. Das war so eindeutig, dass uns Dr. A. eine sicher Prognose stellen konnte: Wir bekommen unseren kleinen Prinzen und sofort war klar: Er wird Finn heissen.

Nach dieser Bestätigung konnten die ersten Babysachen in blau gekauft werden und die langersehnte Bettwäsche mit der Aufschrift "Kleiner Prinz".

Zu diesem Zeitpunkt waren wir der naiven Meinung: Was sollte denn jetzt auch noch passieren?!?! Uns ging es beiden gut, Finn wuchs zusehends, er war ein sehr aktives Baby, spielte vor allem nachts Fussball in meinem Bauch, was meinem Mann als Fussballgegner gar nicht so sehr gefiel.

Endlich wurde auch mein Bauch immer grösser, ich war so stolz und genoss die Schwangerschaft.

Bis zur 23. SSW habe ich aber nicht zugenommen, meine Werte waren immer in Ordnung. Als festgestellt wurde, dass ich Zucker im Urin hatte, wurde ein Zuckerbelastungstest gemacht, der aber zum Glück negativ ausfiel.

Am 7. April hatte ich Geburtstag und am nächsten Tag war die nächste Vorsorgeuntersuchung.

Es war die erste Untersuchung zu der ich alleine ohne Begleitung gegangen bin, da meine Mann länger arbeiten musste. Vorher hatte ich immer eine moralische Unterstützung dabei, meinen Mann, meine Mutter oder meine Schwiegermutter, die den Kleinen natürlich auch sehen wollten. Am 8. April, am Tag der Untersuchung die alles veränderte, ging ich komischer Weise das erste Mal etwas entspannter zum Arzt. Es war ja bis jetzt ja auch immer alles in Ordnung, mir ging es gut, mit meinem Mutterschutz war alles abgeklärt, ich wusste wann mein letzter Arbeitstag sein sollte und freute mich mein Baby sehen zu können...

Als Herr Dr. A. das Ultraschallgerät auf mein Bauch hielt und ich ihn sein Gesicht sah, wusste ich sofort es stimmt etwas nicht!!!! Sofort hatte ich riesen Angst, die immer grösser wurde als er mich fragte, ob mir Fruchtwasser abgegangen sei... Als ich verneinte untersuchte er erst mal weiter und antwortete nicht auf meine Frage warum.

Danach war nichts mehr so wie vorher...

Er sagte, dass ich sehr wenig Fruchtwasser hätte und er mich jetzt ins Krankenhaus schicken würde, damit dort festgestellt werden kann, woran das liegt. Ich war wie betäubt, brach in Tränen aus und habe nach einiger Zeit die Praxis verlassen. Ich versuchte mich zu beruhigen, mein Mann musste mich abholen und ich wollte ihn nicht auch noch in Panik versetzen.

Also fuhren wir mit einer schnell gepackten Tasche in ein sehr bekanntes Krankenhaus hier in Wuppertal.

Dort wurde mein erstes CTG gemacht, welches aber vollkommen in Ordnung war. Nach eineinhalb Stunden Warten kam endlich eine ärztin. Sie machte nochmals einen PH-Test, der aber auch negativ war, ich hatte also kein Fruchtwasser auf "normalem" Wege verloren.

Dann machte sie einen Ultraschall, bei dem unser Sohn wieder komplett vermessen wurde. Als sie bei den Nieren ankam, fing sie auf einmal an zu stocken. Sie redete kaum noch mit uns, nuschelte sich immer was zusammen und holte eine Kollegin dazu. Jetzt standen zwei ärztinnen vor uns, beide schauten sich die Bilder an und beide gaben uns keine Auskunft. Es war die Hölle. Wir sahen ihnen deutlich an, dass etwas nicht stimmte und die beiden entschuldigten sich und verliessen das Zimmer. Da standen bzw. lagen mein Mann und ich nun, ich war in Tränen aufgelöst und er versuchte mich zu beruhigen.

Nach einiger Zeit kam die erste ärztin wieder ins Zimmer und sagte, dass Sie der Chefärztin Bescheid gegeben hätten, die würde sich mit "sowas" besser auskennen. Auch diesmal blieben unsere Fragen unbeantwortet und wir mussten in ein anderes Zimmer zu einem grösseren Ultraschallgerät.

Ich war mit den Nerven total am Ende, wir wussten ja gar nicht was mit uns passiert oder schon passiert ist...

Dann kam endlich die Chefärztin und begann damit, alles wieder von vorne auszumessen...

Dann kam der schlimmste Moment: Sie zeigte uns die Nieren von Finn, die, wie deutlich zu sehen war um ein vierfaches grösser waren als sie sein sollten. Sie sagte das wäre sehr selten, dass so was vorkommt, aber da könnte man leider nichts machen!!! Das war ihre Aussage!!! Ich lag da und wusste gar nicht was jetzt grade geschah, es war doch immer alles in Ordnung!!! Das konnte nicht sein!

Als Antwort auf meine Frage was das alles bedeuten würde sagte sie allen Ernstes: Das Kind hat keine überlebenschance, wir könnten uns überlegen ob wir die Schwangerschaft fortsetzen wollen oder ob wir einen medizinischen Abbruch machen lassen wollen, aber dann nicht in diesem Krankenhaus, da es ein kirchliches sei!!!

Es war, als riss uns jemand den Boden unter den Füssen weg! Am Morgen war noch alles ok gewesen und jetzt sagte uns jemand, dass unser Finn nicht leben darf?!?!

Sie machte einen Termin für uns in einer Praxis, die auf pränatal Diagnostik spezialisiert ist und wir verliessen mit dieser Nachricht erst mal das Krankenhaus, ich wollte nur noch weg da.

Es war alles wie ein böser Traum. wir konnten einfach nicht glauben was uns da gesagt wurde.

Ich wusste gar nicht mehr was ich denken oder fühlen sollte, für mich war nachdem nur klar: Mein Baby nimmt mir niemand!!!

Ich weiss nicht wie wir die Nacht rumbekommen haben, am nächsten Tag durchsuchte ich erst mal das Internet. Im Krankenhaus hatten sie uns ja eigentlich nichts genaues gesagt, also suchte ich auf eigene Faust.

An diesem Tag las und hörte ich das erste Mal etwas von diesem verdammten Chromosomenfehler: Das Potter-Syndrom.

Da es verschiedene Formen dieser Krankheit gibt, blieb uns immer noch etwas Hoffnung, das doch alles nicht so schlimm sein könnte...

Am 10. April hatten wir endlich den Termin in der Praxis. Doch leider musste uns Dr. H. die niederschmetternde Diagnose, Potter I Nieren geben. Er erklärte uns ausführlich was das alles bedeuten würde, was wir für Möglichkeiten haben und dass er uns in die Uniklinik nach Bonn schicken möchte. Die kleinen Hoffnung die wir hatten war eine eventuelle Auffüllung der Fruchtwassers, was aber in Wuppertal in dem Stadium der Schwangerschaft nicht möglich sein.

Natürlich wollten wir diesen Versuch auf jeden Fall wagen, also bekamen wir zum Glück direkt am nächsten Tag direkt einen Termin dort.

Mit diesem kleinen Hoffnungsschimmer sind wir am nächsten Tag nach Bonn gefahren. Ich musste die ganze Zeit weinen, ich konnte immer noch nicht glauben, was uns da geschah.

Finn, Baby mit dem Potter Syndrom

Das konnte doch alles nicht wahr sein. Warum wir? Und immer wieder der Gedanke: Es war doch immer alles in Ordnung...

In Bonn angekommen, hatten wir das grosse Glück, dass es relativ schnell ging, bis wir an der Reihe waren.

Die erste Untersuchung wurde von einer ärztin gemacht, die wieder Mal alle Masse unseres Kleinen nahm. Danach kam Dr. B. der Chefarzt der Abteilung. Er schaute sich die Daten und Werte an.Ich konnte die Hand meines Mannes gar nicht fest genug drücken. Doch auch Dr. B. musste uns die Diagnose bestätigen, die Nieren waren um ein vierfaches grösser als normal und arbeiteten nicht. Dadurch konnte Finn kein neues Fruchtwasser bilden. Eine Fruchtwasserauffüllung war nicht möglich, da Finn schon zu gross und die Fruchtwasserdepots viel zu klein waren.

Alle Hoffnung: weg.

Auch Dr. B sprach mit uns über einen Schwangerschaftsabbruch oder ein fortsetzen der Schwangerschaft. Ich teilte meine Entscheidung direkt mit: Kein Abbruch!! Ich lasse mein Baby nicht töten!!! Ich will dieses Kind und nicht entscheiden wann er uns verlassen muss. Damit hätte ich nicht weiter leben können.

Ich glaube eine Mutter spürt, was die richtige Entscheidung für sie ist. Man spürt es tief in seinem Herzen, genau wie man diesen kleine Wesen in seinem Bauch treten spürt. Es war so viel Leben in meinem Bauch, so als würde Finn mich darum bitten, ihm eine Chance zu geben...

Uns wurde auch die Möglichkeit angeboten, Gewebeproben zu entnehmen, damit eine Untersuchung gemacht werden konnte, um die Ursache zu finden. Da dies aber auch nach der Geburt durch das Blut aus der Nabelschnur möglich ist, entschieden wir uns dagegen. Wie bei jeder Untersuchung im Mutterleib war auch diese mit Risiko verbunden und das wollte ich auf keinen Fall eingehen. Ich wollte mit meinem Kind wieder nach Hause fahren...

Wir besprachen mehr oder weniger die Möglichkeit zum Entbinden nach Bonn zu kommen, meinem Mann war besonders wichtig zu erfahren, ob das Fortsetzen der Schwangerschaft gefährlich für mich sei, aber die Angst konnten ihm die ärzte nehmen, die Schwangerschaft würde "normal" weiter gehen und so lange Finn in meinem Bauch ist, ginge es ihm sehr gut. Ich konnte das gar nicht glauben, da Finn so gut wie kein Fruchtwasser mehr hatte.

Dr. B. sprach sehr offen mit uns, Finns Problem nach der Geburt würden in erster Linie nicht die fehlende Nierenfunktion sein, das Problem ist, dass durch das fehlende Fruchtwasser die Lunge nicht weiter ausgebildet werden konnte!!! Er würde also nach der Geburt nicht atmen können.

Ausserdem wurde uns gesagt, dass er nach der Geburt etwas "anders" aussehen würde. Dadurch dass kein Fruchtwasser vorhanden sei, haben Kinder mit dem Potter-Syndrom ein sogenanntes "Potter-Gesicht". Das kommt daher, dass das Gesicht gegen die Bauchdecke gedrückt wird. Dadurch ist die Nase etwas platt gedrückt und die Augen stehen etwas auseinander. Man kann sich das so ähnlich wie das Downsyndrom vorstellen. Dr. B. sagte aber auch, dass er schon einige Kinder mit diesem Gesicht gesehen hätte, es wäre überhaupt nicht schlimm.

In der 32. SSW sollten wir nochmals nach Bonn kommen. Dann sollte nochmals ein grosser Ultraschall gemacht werden und wir sollten die medizinische Versorgung unseres Sohnes nach der Geburt mit einem Kinderarzt besprechen. Uns wurde direkt nach dem Gespräch eine Psychologin an die Seite gestellt, was auch nötig war, da wir vollkommen fertig mit den Nerven waren.

Als wir wieder zu Hause waren, brach erst mal alles über uns zusammen. Wir hatten zwar alles wahrgenommen, was uns die ärzte gesagt hatten, aber glauben konnten wir es trotzdem alles nicht wirklich.

Ich rief an diesem Wochenende meine Hebamme an, die uns von diesem Tag an in den verbleibenden Wochen der Schwangerschaft liebevoll begleitete (Vielen Dank liebe Karin). Sie machte mit uns Geburtsvorbereitungsübungen zu Hause und stand uns in allen Fragen und bei allen ängsten mit Rat und Tat zur Seite.

Ab der 27. SSW war ich nun jede Woche zur Kontrolle bei meinem Arzt. Die Besuche waren immer sehr schmerzhaft, ich hörte die Herztöne von Finn, die immer super gut waren und doch konnte ich diese Situation kaum ertragen, es tat einfach so weh. Mit jeder Untersuchung konnte man genau sehen, dass er weiter wuchs, obwohl die Bilder mit jeder Woche schlechter wurden, dadurch, dass kein Fruchtwasser vorhanden war.

Jede Entwicklung unseres Kleinen war schön mit zu erleben und doch war es immer auch gleichzeitig so schmerzhaft.

Ich glaube tief im Herzen hat man immer noch etwas Hoffnung und diese Hoffnung hat es mir ermöglicht die Wochen zu ertragen.

Finn wurde immer grösser und somit auch mein Bauch. Immer wenn mich jemand fremdes auf meine Schwangerschaft ansprach, war es total schlimm. Ich hatte ja nicht auf meiner Stirn stehen: Mein Baby ist nicht lebensfähig. Doch manchmal hätte ich mir gewünscht das es so wäre... Das hätte mir viele unangenehme Situationen erspart.

Mit der Zeit, nach unserem Besuch in Bonn hatte ich das Bedürfnis, so viel wie Möglich für die Geburt vorzubereiten. Ich wusste, dass uns nicht viel Zeit mit unserem Finn bleiben wird und somit wollte ich vorbereitet sein. Ich ging mit einer sehr guten Freundin in die Stadt und wir kauften ihm etwas Nettes zum Anziehen. Da wir ja auch nicht wussten wann es so weit war kauften wir verschiedene Grössen. Ganz kleine und etwas grössere Sachen. Dann wollte ich, dass wir Hand- und Fussabdrücke machen können, also besorgten wir Modelliermasse, Leinwände und ein Stempelkissen. Dann wollte ich, dass Finn eine Herz an seinem Namensarmbändchen trägt und ich das gleiche Herz an einer Kette. Also besorgten wir alles notwendige und ich machte eine sehr schöne Kette selber. Sie ist viel persönlicher als eine gekaufte Kette. Es fiel mir sehr schwer diesen Weg zu gehen und doch war ich beruhigt, da ich so die Sachen schon in die Krankenhaustasche packen konnte.

Finn wuchs und wuchs und verwunderte alle. Er war total aktiv und drehte sich sogar noch einmal komplett, obwohl er gar keinen Platz mehr hatte!!! So lag er danach in der Beckenendlage. Keiner, nicht mein Arzt noch meine Hebamme konnte glauben, zu was er alles noch in der Lage war. Er war ein kleiner Kämpfer, was mir immer wieder bestätigte, dass wir die richtige Entscheidung getroffen haben.

Die Wochen vergingen total schnell. Ich glaube andere Schwangere können es nicht erwarten, bis die letzten Wochen der Schwangerschaft endlich vorbei sind. Ich empfand das genau gegenteilig. Mir ging das alles zu schnell, ich wollte nicht das der Entbindungstermin immer näher kam und so auch der Tag des Abschiedes. Ich wollte mein Kind nicht hergeben, ich wollte Finn so lange wie möglich beschützen...

In der 32. SSW waren wir noch mal in Bonn und besprachen mit dem leitenden Kinderarzt, dass Finn nach der Geburt nicht unnötig "gequält" werden sollte. Wir wollten ihn nicht an irgendwelchen Geräten anschliessen lassen, wir wollten die Zeit die wir mit ihm bekommen sollten auch als eine solche Zeit nutzen... Als wir uns aber dort im Kreissaal vorstellten stimmte einfach das Gefühl in diesem Krankenhaus nicht. Ich fühlte mich richtig unwohl... Also überlegten wir uns eine Alternative, da es nach Bonn auch von Wuppertal aus eine lange Strecke ist.

Wir entschieden uns, uns in Herdecke vorzustellen. Schon beim ersten Gespräch war uns klar, dass wir zum Entbinden hier herkommen werden. Alle, ärzte, Schwestern und Hebammen waren total freundlich und nett zu uns. Es war nicht dieses "Oh, mein Gott, die Armen"-Nett, es war anders. Wir haben uns gut aufgehoben gefühlt und ich musste sofort weinen, weil ich das gerne in einer anderen Situation erlebt hätte... Wir sollten auf unserem schweren Weg begleitet werden und dieses Gefühl vermittelte uns das ganze Krankenhaus.

Die ärzte machten uns auch Hoffnung auf eine spontane Geburt, da ich viel zu grosse Angst vor einem Kaiserschnitt hatte. Trotz der Beckendlage, sahen die ärzte keinen Grund zur Sorge, wenn alles seinen "normalen" Weg gehen sollte...

Ich denke wie alle Erstgebärende habe ich mir vor der Geburt viele Gedanken gemacht, wie es sein wird, wenn die Wehen einsetzen. Ich habe immer daran gedacht, hoffentlich merke ich wenn es los geht und breche nicht in Panik aus. Man spielt automatisch verschiedene Szenarien im Kopf durch, das typische "Was wäre, wenn- Spielchen"...

Am Abend des 18. Juli, es war ein Freitag, hatte ich die ersten Wehen. Mir war auch sofort bewusst, dass es Wehen waren und doch war ich total ruhig und schaute immer auf die Uhr, um ein Gefühl für die Abstände zu bekommen. Es war ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte, es löste überhaupt keine Panik in mir aus, vielleicht, weil ich nicht wahr haben wollte, dass der Zeitpunkt tatsächlich gekommen war. Die Wehen waren total unregelmässig, mal alle halbe Stunde, mal alles zwanzig Minuten, hielten aber die ganze Nacht an. Ich empfand sie auch nicht als überaus schmerzhaft, ich konnte sie immer gut "wegatmen". Morgens, so gegen sieben Uhr hatte ich die letzte Wehe, dann war erst einmal wieder Schluss. Ich hatte nicht geschlafen, aber ich dachte mir nichts weiter dabei, das mussten dann wohl so etwas wie Vorwehen gewesen sein.

Ich bin immer noch selber erstaunt, dass ich in dieser Situation so ruhig geblieben bin und mich nicht aus der Ruhe bringen lies.

Den Samstag über war alles ganz ruhig, ich hatte noch mit meiner Hebamme Karin telefoniert, die mir bestätigte, dass es Vorwehen gewesen waren. Am späten Nachmittag, ging es dann wieder los. Die Wehen waren unregelmässig und ich war wieder ziemlich ruhig. Doch je später es wurde, um so kräftiger wurden die Wehen und die Abstände immer kleiner. So ab 20 Uhr schrieb ich mir die Abstände auf ein Blatt Papier, um sie zu dokumentieren. Sascha sagte ich zwar, dass ich Wehen hätte, aber ich glaube ich habe es etwas herunter gespielt, weil ich Angst hatte er würde sofort ins Krankenhaus fahren wollen.

Ich konnte den Gedanken, dass die Geburt beginnt, nicht zu lassen, zu gross war die Angst vor dem, was uns erwarten würde.

Ich glaube es war so gegen elf oder halb zwölf, als die Schmerzen immer schlimmer wurden und die Wehen alle fünf bis sechs Minuten kamen. Ich hatte immer im Hinterkopf: Bei der ersten Geburt geht alles noch nicht so schnell, also brauchte ich keine Panik bekommen. Ich bat Sascha, Karin anzurufen, die auch sehr schnell kam, als sie hörte, dass die Wehen in so geringen Abständen kamen. Kurze Zeit später war sie bei uns und als sie nach dem Muttermund fühlte, war dieser schon 2-3 cm geöffnet. Sascha rief geistesgegenwärtig im Krankenhaus an, um Bescheid zu geben, dass wir jetzt kommen würden.

Alles war wie im Film, ich konnte einfach nicht glauben, dass es tatsächlich so weit war, wie gerne hätte ich es gehabt, dass die Wehen aufgehört und Finn und ich noch Zeit zusammen gehabt hätten...

Als wir in Herdecke ankamen, wartete schon ein Pfleger mit einem Rollstuhl auf uns, weil er wohl schon von weitem gesehen hatte, dass mir das Laufen sehr schwer fiel. Und doch wollte ich den Weg in den Kreissaal selber gehen. Als wir im Kreissaal ankamen, sagte ich immer wieder, dass ich es nicht glauben könne, dass wir tatsächlich hier seien.

Die Hebamme fühlte nach dem Muttermund, der zu diesem Zeitpunkt schon 5 cm geöffnet war. Die Wehen waren sehr stark, das Atmen fiel mir schwer, doch Sascha stand mir sehr gut bei und versuchte mich immer wieder an die richtige Atemtechnik zu erinnern und massierte mich wenn ich es wollte. Die Hebammen rieten mir, mir eine PDA geben zu lassen, weil sie merkten, dass die Schmerzen immer stärker wurden. Doch ich wollte es ohne versuchen, zu gross war da noch die Angst vor der Nadel.

Ich wurde zwar an den Wehenschreiber angeschlossen, doch im Vorfeld hatten wir uns gegen ein CTG entschieden, weil ich zu grosse Angst hatte, dass ich im Falle eines Herzstillstandes, nicht mehr in der Lage sein könnte, Finn auf die Welt zu bringen. Wir konnte ja nicht ahnen, wie gut im Nachhinein diese Entscheidung gewesen ist...

In den Stunden der Wehen bekam ich plötzlich Fieber, welches immer weiter stieg, mir wurde ein Zugang gelegt und Antibiotikum und Flüssigkeit verabreicht.

Es muss so gegen fünf oder sechs Uhr morgens gewesen sein, als ich die Schmerzen nicht mehr aushielt. Als mir eine Hebamme erneut eine PDA anbot, nahm ich es diesmal an, weil ich selber gemerkt habe, dass ich keine Kraft mehr hatte. Ich hatte keine Ruhepausen und musste ja noch Kraft haben, für die weitere Geburt. Eine ärztin legte mir die PDA und im Gegensatz zu den Schmerzen der Wehen tat es fast gar nicht weh. Als es wirkte, konnte ich mich das erste Mal etwas ausruhen und Sascha auch.

So vergingen die Stunden, die Wehen waren immer noch kräftig und der Muttermund öffnete sich weiter, daher gingen auch die ärzte und Hebammen davon aus, dass einer Spontangeburt nichts im Wege stehen würde. Immer wieder wurden mir neue Schmerzmittel verabreicht. Gegen Mittag fand ein weiterer Wechsel bei den Hebammen statt und Hebamme Angela betreute uns in den folgenden Stunden.

Als der Muttermund auf 8 cm geöffnet war und die ärzte fühlen konnten, dass Finns Po in den Geburtskanal gerutscht ist, fing ich mit Hilfe von Sascha und Angela das erste Mal an zu pressen. Wie oft hatte ich das schon im TV gesehen und jetzt war ich selber in dieser Situation!!! Obwohl es für uns die erste Geburt war, wussten Sascha und ich genau was wir zu tun hatten. Ich versuchte immer und immer wieder zu pressen und das in den unterschiedlichsten Stellungen. Doch Finn schaffte es einfach nicht, tiefer zu rutschen.

Gegen 14 oder 15 Uhr sprachen die ärzte das erste Mal ernsthaft über einen Kaiserschnitt mit uns. Das Fieber war immer noch sehr hoch und sie befürchteten, dass Finn einfach zu gross sei um auf dem normalen Wege auf die Welt zu kommen. Meine Angst vor einem Kaiserschnitt war viel zu gross und so beschlossen die ärzte mir einen Wehentropf zu geben und danach sollte ich noch einmal versuchen zu pressen. Sie sagten aber auch, wenn bis um 17 Uhr nichts geschehen sollte, dann würde es auf einen Kaiserschnitt hinauslaufen, weil die Gefahr für mich sonst sehr gross wäre.

Ich konnte es gar nicht glauben. es hatte doch alles so gut angefangen, warum schaffe ich es nicht, ihn auf dem normalen Wege auf die Welt zu bringen?!?!

Sascha hielt einen Kaiserschnitt auch für sinnvoll, er konnte es nach den ganzen Stunden einfach nicht mehr ertragen, mich mit den Schmerzen zu sehen. Er kam sich so hilflos vor und dann kam seine Angst um mich noch hinzu... Der Wehentropf tat dann seinen Rest, die Schmerzen waren unerträglich und es gab keine Wehenpause mehr, es ging in einem durch. Sie konnte auch nichts mehr durch die PDA verabreichen, weil ich ja eventuell noch Mittel für den Kaiserschnitt bekommen musste. Ich konnte nur noch weinen vor Schmerzen, aber grösser war glaube ich diese Gefühl versagt zu haben.

Die ärzte entschieden für einen Kaiserschnitt und auch Sascha war dafür.

Es war wie im Film.....

Als sie mich für die OP fertig machten, brach Panik in mir aus. Zum Glück waren Sascha und Angela bei mir.

Im OP wäre ich am liebsten mit Finn davon gelaufen. Ich hatte immer nur einen Gedanken im Kopf: Du kannst nichts machen, gleich trennen sie uns, für immer...

Als erstes bekam ich Schmerzmittel, dann die Betäubung. Ich war total benebelt und hatte die Zeit während der OP, das Gefühl alles von oben mit anzusehen und gar nicht mehr in meinem Körper zu sein. Sascha sagte mir später, dass ich richtig geschrieen hätte und dass sie mir dann noch drei Mal was nachgespritzt hätten. Ich weiss nicht ob es Schmerzen gewesen sind oder eher der Gedanke, dass gleich die gemeinsame Zeit von Finn und mir vorbei sein wird...

An die ersten Momente kann ich mich nur schleierhaft erinnern. Um 17 Uhr 8 war es so weit. Sascha und ich waren uns sicher, dass wir einen Schrei gehört hatten... Als ich Sascha anschaute und Finn sah, wusste ich, dass es kein Schrei gewesen sein konnte, Finn war schon in meinem Bauch zu den Sternen gezogen, er war friedlich eingeschlafen...

Es war das totale Gefühlschaos. Ich wusste, dass mein Baby nicht mehr lebt und doch war ich, waren wir in diesem Moment so stolz auf unseren Prinzen... Ich hörte Sascha sagen: "Er hat deine Nase..." Ich konnte es einfach nicht glauben, dass mein Baby, das gerade noch in meinem Bauch war, jetzt auf meiner Brust lag.

Erst im Aufwachraum fing ich an zu realisieren. Angela hatte Finn etwas sauber gemacht und er war in der blauen Decke eingewickelt, die ihm seine Tante Jessica geschenkt hatte. Ich konnte Finn das erste Mal bewusst anschauen, sehen wie perfekt er aussah, seine kleinen Hände mit den kleinen Fingerchen, sein kleinen perfektes Gesicht, er sah aus als schliefe er... Als würde er jeden Moment aus seinem Schlaf erwachen, so friedlich und so perfekt... Ich konnte nicht glauben, dass ich ihn in meinen Armen hielt, er war doch grade noch meinem Bauch gewesen... So sehr wünschte ich, er würde die Augen öffnen und anfangen zu weinen, sein Bauch würde sich heben und er würde atmen... Doch er tat es nicht, er lag nur ganz friedlich in meinem Arm...

Als Sascha ihn auf dem Arm hatte, sah ich wie stolz er war und es bringt mich heute noch zum Weinen dieses Bild zu sehen, ich hätte ihn so gerne beschützt hätte so gerne alles ungeschehen gemacht.

Es war so schön ihn zu berühren, seine Haut war so weich und gleichzeitig tat es so unendlich weh... Er ist so ein hübsches Baby, keinerlei Anzeichen oder Merkmale dieser verdammten Krankheit, er hatte nicht mal Abdrücke am Hinterkopf, wie es für Babys typisch ist, die in Beckenendlage liegen, wie mir später meine Hebamme erzählte.

Wir kamen dann erst mal wieder zurück in den Kreissaal. Angela wog Finn: 3550g und 55 cm. Nie im Leben hätte jemand damit gerechnet, dass unser kleiner Kämpfer sich so gut entwickeln würde. Dann zog sie ihm den kleinen Jogginganzug an, den wir für ihn gekauft hatten. Er passte perfekt. Ich konnte leider nicht helfen, ich lag in dem Bett und konnte mich kaum bewegen. Finn bekam auch sein Namensarmbändchen, auf dem auch das Herz aufgefädelt wurde, welches ich für ihn gekauft hatte.

In der Zwischenzeit waren meine Eltern gekommen und obwohl auch sie sich vorher immer gefragt hatten, ob sie es schaffen würden Finn zu sehen, war das keine Frage mehr... Der Stolz über unser kleines Wunder war so gross...

Finn, Baby mit dem Potter Syndrom

Finn durfte bis zum nächsten Tag bei uns bleiben. Wir bekamen ein Familienzimmer in dem auch Sascha schlafen konnte. Sascha fiel am Fenster direkt das Schwalbennest auf. Vor unserem Fenster flogen die Schwalben unbeschwert ihre Kreise. Es war ein tröstender Gedanke, als ich mir vorstellte, Finn ist jetzt auch eine Schwalbe, so frei und unbeschwert.

Die ganze Nacht über habe ich mir so sehr gewünscht, dass Finn sich bemerkbar macht, dass er weint, weil er Hunger hat oder die Windel voll ist... Ich glaube ich konnte es immer noch nicht wirklich realisieren.

Am nächsten Tag kamen auch Saschas Eltern, auch sie schauten sich unseren Kleinen an.

Als wir uns von ihm verabschieden mussten, war es für uns beide sehr schlimm. Es tat so weh ihn gehen zu lassen, dass der Zeitpunkt des Abschiedes gekommen war.

Die verbleibenden fünf Tage im Krankenhaus waren schlimm, ich war so leer und ohne Kraft irgendetwas zu tun.
In mir trage ich eine tiefe Leere, es ist ein Teil von mir mit meinem Sohn gegangen.
Jeden Tag und jede Stunde denke ich an ihn und bin dankbar dafür, dass wir ein kleines Stück mit ihm gehen durften.
Er wird immer unser Kind bleiben und wir werden ihn immer lieben.

Jasmin

 

Nachtrag

Nach Finns Geburt wurden Proben unseres und Finns Blutes zur Untersuchung nach Aachen geschickt.

Im Dezember nach Finns Geburt bin ich wieder schwanger geworden.

Im ersten Trimester kamen die Ergebnisse von der Untersuchung. Sie besagen, dass wir ein Wiederholungsrisiko von min. 25% haben.
Die Erbkrankheit heißt autosomal rezessiv erbliche polyzystische Nierenerkrankung (ARPKD).
Mein Mann und ich haben an zwei verschiedenen Stellen, an einem Gen eine veränderung, die isoliert für sich keine Veränderung bei dem Kind hervorrufen, in der Kombination aber das ARPKD hervorrufen.

Auf Grund dessen haben wir in der SS eine Fruchtwasseruntersuchung machen lassen, die ergab, dass unsere Tochter gesund ist und nur eine genetische Veränderung in sich trägt.

Seit dem 12.09.2009 sind wir stolz Eltern einer kleinen Tochter.

Ich hoffe das unser Weg mut machen kann.

 

Jasmin's Webseite über Finn, mit Kontaktmöglichkeit.

 

 

Letzte Aktualisierung dieser Seite: 03.03.2020