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Florian

27.2.03

Du kamst, Du gingst mit leiser Spur,
ein flücht’ger Gast im Erdenland.
Woher? Wohin? Wir wissen nur:
aus Gottes Hand, in Gottes Hand.


Es ist jetzt über 2 Wochen her, daß unser 2.Sohn Florian uns besucht hat. Eigentlich sollte man zu diesem Zeitpunkt berichten, ob das Baby gut schläft und trinkt oder ob er Blähungen hat. Leider ist bei uns wieder mal alles anders.

Wir haben sehr viele Beileidsbekundungen in Form von Anrufen, Briefen und Gesprächen bekommen. Es waren so viele, daß wir es bisher noch nicht geschafft haben, uns persönlich bei jedem einzelnen zu bedanken. Das machen wir jetzt mit Hilfe dieses Briefes. Auch für aufmunternde Geschenke und finanzielle Unterstützung sagen wir in dieser Form danke.
Viele Fragen wurden gestellt, manche wurden auch nicht gestellt, schwebten aber wortlos im Raum: wie es uns geht, wie wir das alles durchstehen, warum wir nicht abgetrieben haben, ob wir schon "drüber weg" sind usw.
Ich möchte versuchen, diese Fragen in diesem Brief zu beantworten. Er soll ein Anfang sein und es Dir – gemeinsam mit dem Brief von Flo- erleichtern, eventuell vorhandene Unsicherheiten beiseite zu schieben und offen auf uns zuzugehen.

Zur Vorgeschichte...

Florians Diagnose (Trisomie 13 – Pätau-Syndrom) bekamen wir in der 14. SSW. 2 Wochen vorher, in der 12. SSW bestand der Verdacht "Down-Syndrom".
Ein Schock- ja.
Johannes und ich wollten ein zweites Kind, Florian war ein absolutes Wunschkind. Auch der Zeitpunkt der Schwangerschaft war traumhaft: Felix würde kurz nach Florians Geburt 2 Jahre alt werden, wie ich es mir immer gewünscht habe.
Und dann die Diagnose und die Aussicht: nicht lebensfähig, 95% der Kinder, die tatsächlich die Geburt überleben, sterben im ersten Lebensjahr. Der "normale" Weg: Abtreibung. Aber diese Frage stellte sich uns eigentlich nie wirklich. Wir waren uns einig: Wenn unser 2. Kind schon so kurz leben wird, dann wollen wir dieses Leben nicht auch noch zusätzlich verkürzen. Wir wollen ihm all unsere Liebe geben, bis er selber gehen will, bis Gott ihn wieder zu sich ruft. Und so begannen wir zu beten, daß der Kleine wenigstens lebendig auf die Welt kommen wird. Dazwischen mischten sich auch in gewissen Abständen immer wieder Gebete wie "Laß ihn doch jetzt schon zu Dir gehen, ich kann nicht mehr! Dann können wir endlich wieder normal weiterleben." Aber - Gott sei Dank - hat Gott dieses Gebet nie erhört, sondern uns statt dessen Kraft gegeben zum Weitermachen.

Schwierig war jeder Arztbesuch mit Ultraschall: immer wieder die gleiche Diagnose vor Augen, die gleichen Schädigungen, die gleiche Perspektive. Und immer wieder das Angebot: "Wir können jederzeit die Geburt einleiten, dafür hätte jeder Verständnis. Es ist doch nur ein Warten auf den sicheren Tod." Aber er ist ja mein Kind, nicht irgendein es. Schon vor dem Schwangerschaftstest wußte mein Körper, daß da noch einer ist und die Liebe war da. Und auch nach der Diagnose blieb diese Liebe. Irgendwann begann er, mich zu treten. Stärker als Felix damals. So konkret...! Vielleicht lebt er ja doch noch etwas nach der Geburt. (Gibt’s immer wieder, schau mal auf www.trisomie13.de ) Welche Perspektive hat Flo wirklich?
Natürlich hatte er nie die Perspektive, ein Gymnasium zu besuchen. Aber das ist eine mehr als verkürzte Definition des Begriffes "Perspektive". Er hatte die Perspektive, geliebt zu werden. Und das ist mehr, als manch anderer in seinem Leben erfährt. Florian wurde und wird so sehr geliebt, daß manch anderes Kind vor Neid erblassen würde.

Die Geburt...

Dann die Geburt. Schneller als erwartet, so daß nicht mal Papa Johannes dabei sein konnte. Und was keiner erwartet hat, passierte: Flo hat die Geburt überlebt! Ein größeres Geschenk hätte er mir nicht machen können! Mit einem Auge hat er mich angeschaut, als wollte er mich noch kurz von außen sehen, hat sich an meine Brust gekuschelt und ist dort nach ca. 15-20 Min. gestorben. Er blieb aber noch die ganze Nacht mit mir zusammen. Es war eine friedliche, ruhige Atmosphäre. Es war einfach stimmig. Und wir hatten ja schon ein halbes Jahr Zeit, uns auf diesen Abschied vorzubereiten. Wir wußten, was kommen würde.

Und das Danach...

Für uns selbst war Florian nie "die Trisomie 13", sondern immer unser Kind. Manchmal waren wir unsicher, was wohl auf uns zukommt und ob wir dem ganzen gewachsen sein würden. Wird er arg entstellt sein oder seltsam aussehen? Aber nach der Geburt war sofort klar: Er ist unser geliebter Sohn, er gehört zu uns wie Felix zu uns gehört. Die Spalte nahmen wir schnell nicht mehr wahr. Er ist perfekt auf seine Weise. Und liebenswert. Ein kleines Wunder, wie jedes Kind. Wir haben einfach unsere Maßstäbe geändert. Nur leider konnte er nicht lange bleiben.

An Flo‘s kurzem Leben haben sehr viele Menschen Anteil genommen. Sogar ins Krankenhaus kamen einige, einfach um zu beten und da zu sein. Das Telefon lief vorher und lange danach heiß. Der Briefkasten lief über. Und zur Beerdigung kamen weit über 60 Gäste- zu einem Kind, das keiner je kennengelernt hat. 

Sicherlich war Florian das meistumbetetste Kind in der Gegend. Er hat viele Leute berührt. Er hat sämtliche Werte und Normen über den Haufen geworfen. Er brachte Leute ins Nachdenken, viele wurden dankbarer und zufriedener. Oder sie begannen zu fragen, was das für ein Gott ist, der uns so viel Kraft und Trost gibt, oder ob wir eine andere Bibel benutzen. Nein, wir haben die gleiche Bibel, die auch bei Dir zu hause steht. Und den gleiche Gott, der uns vorher nah war und es auch jetzt ist, und der Dir genauso nah sein möchte. Freunde, die einem nur beistehen, wenn die Sonne scheint und ein Gott, der nur aus Einbildung besteht und der einen verläßt in Krisen- darauf kann man verzichten. Aber zu erfahren, daß sowohl Freunde als auch Gott einem ganz konkret beistehen, das ist eine sehr, sehr wertvolle Erfahrung.
Wenn das der Sinn von Florians kurzem Leben war, dann hat er seine Mission erfüllt.
Er hat auch Johannes und mich näher und in manchen Bereichen überhaupt das erste Mal zusammengebracht. Dank Dir, kleiner Flo!

Jetzt, mehr als 2 Wochen nach seinem Besuch bei uns, ist vieles wieder wie früher. Aber es wird trotzdem nie mehr wie früher sein. Der Schmerz, die Trauer über den Verlust ist da. Ein ständiger Begleiter, noch stärker als direkt nach seinem Abschied. Gleichzeitig eine innere Ruhe: es ist in Ordnung so, wie es ist. Florian hat sich von seinem kranken Körper befreit. Er ist jetzt gesund und glücklich. Wir werden uns bei Gott wieder in die Arme nehmen können und in Ewigkeit zusammen bleiben.

Die Kinder einer Bekannten, deren drittes Kind auch eine Trisomie 13 hatte, sagten bei dessen Beerdigung: "Gell, Mama, es ist doch gut, daß wir den Robin gekriegt haben. Andere hätten ihn vielleicht nicht so sehr geliebt." Das trifft bestimmt auch auf uns und Flo zu.

Die kurze Zeit, die wir unseren Florian erleben durften, hat uns trotz aller Schwere auch viel Freude gemacht. Und ich war sehr gerne mit ihm schwanger.
Ich glaube, vieles im Leben hängt von unserer Einstellung ab. Hader ich mit dem Schicksal und kämpfe dagegen an, oder weiß ich, daß letztendlich Gott, unser Papa im Himmel, der es gut mit uns meint, auf meiner Seite steht, für mich sorgt und mir alles gibt, um die Situation zu meistern. Finde ich ein Ja zu meinem Leben, auch wenn es nicht so läuft, wie ich es mir vorstelle?

Zum Abschluß schreibe ich noch einen Satz auf, der mir in der Schwangerschaft wichtig geworden ist:
"Hoffnung ist nicht die Überzeugung, daß etwas gut ausgeht, sondern die Gewißheit, daß etwas Sinn macht, egal wie es ausgeht." (Vaclav Havel)

Wir hatten und haben Hoffnung.

3 Monate später...

Es tut weh. Sehr, sehr weh!! Und es scheint manchmal, daß der Schmerz immer schlimmer wird.

Am 27.02.2003 kam unser Sohn Florian mit einer Trisomie 13 zur Welt. Er hat nur 20 Minuten gelebt. 2 Wochen nach seinem Besuch bei uns habe ich geschrieben: "Es ist in Ordnung so, wie es ist. Florian hat sich von seinem kranken Körper befreit. Er ist jetzt gesund und glücklich. Wir werden uns bei Gott wieder in die Arme nehmen können und in Ewigkeit zusammen bleiben." Ja, es stimmt, was ich damals geschrieben habe. Und doch hat sich die Trauer noch sehr gesteigert.

Während ich mit Florian schwanger habe ich sehr viel gebetet - und Gott hat geantwortet! Mal durch andere Menschen, mal durch direkten Trost noch während des Gebetes und immer durch den Zuspruch:

"Ich, der Herr, werde euch Frieden schenken und euch aus dem Leid befreien. Ich schenke Euch wieder Zukunft und Hoffnung."
Jesaja 29, 11+12.

Die Schwangerschaft habe ich deshalb trotz allem sehr genießen können. Nur manchmal war ich traurig, aber auch das nur kurz. Gott war so nah und auch mein Flo in mir hat so munter gestrampelt, daß ich mich sehr lebendig gefühlt habe. Eins mit Flo und mit Gott. Getragen. Umarmt. Getröstet. Dabei war ich es oft, der dann die anderen getröstet hat und ihnen Mut gemacht hat, sich mit unserer Geschichte und mit Gott auseinanderzusetzen, nicht umgekehrt.
Wir haben auch um Heilung gebetet. Das ist wohl der Abschnitt, der mir immer noch am meisten Schwierigkeiten bereitet. Bis 8 Wochen vor dem Geburtstermin betete ich vor allem dafür, daß Gott uns und andere durch unsere Geschichte segnet. Gespickt von Stoßgebeten wie: „Ach, Herr, wenn ich gleich zum Ultraschall gehe, dann laß den Doc doch nichts mehr von der Behinderung sehen können; mach Flo gesund! Was wäre das für ein Zeugnis!! Ich würde es sofort allen weitersagen! Ich würde Deinen Namen groß machen! Alle würden über Dich sprechen, die Geschichte wird von Mund zu Mund gehen, viele werden Dich annehmen! Du kannst es machen, Herr! Ich vertraue Dir!!“ Beim Ultraschall zeigte mir der Arzt jedes Mal wieder sämtliche Fehlbildungen, maß den immer mehr zurückbleibenden Kopf... und ich ging heulend nach Hause.

8 Wochen vor dem Termin hatte ich mit einem Mal den Eindruck, Gott möchte das Kind heilen. Und nicht nur ich hatte diesen Eindruck. Zögernd kamen mehrere Menschen auf mich zu, die mich darin ermutigten, ohne daß ich darüber gesprochen habe. Ich war überglücklich und zweifelte nicht mehr, daß ich in kurzer Zeit ein gesundes, kleines Wunder in den Armen halten würde. Also betete ich jetzt konkret um Heilung mit dem Zusatz "Vater, wenn Du willst, so nimm diesen Kelch von mir, doch nicht mein Wille sondern dein Wille geschehe" Lukas 22,42. 
Ich habe nicht daran gezweifelt, daß Gott etwas übernatürliches vor hat. Manchmal lag ich lachend und heulend zugleich auf dem Bett, weil ich mich so darauf gefreut habe. ICH werde wahrhaftig ein Wunder erleben! Und das am eigenen Leib!! Was für ein super Aufhänger, um über Jesus zu reden!!

"Zweifelt nicht und glaubt nur"
Matthäus 21.21

"Was immer ihr bitten werdet in meinem Namen, das will ich tun, damit der Vater verherrlicht werde im Sohn."
Johannes 14,13

Ja, Jesus!

Als dann die Geburt in vollem Gang war, kurz bevor Florian raus kam, habe ich gedacht: schau Dir den Kopf an. Entweder hat er die angekündigte Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte oder er ist geheilt. Und so versuchte ich mich zu verrenken- so gut das eben geht mit Preßwehen - um ihn so früh wie möglich zu sehen. Florian war draußen und mir war sofort klar, daß er nicht lange zu leben hatte. Es war nicht nur die Spalte. Er schrie nicht (etwas später auf meinem Bauch versuchte er ein wenig zu weinen) und bewegte sich auch sonst nicht. Trotzdem kam nur ein Anflug von Traurigkeit, dann war ich überwältigt von meinem Kind und daß er tatsächlich lebt. Das war wirklich ein Wunder! Denn er war, medizinisch betrachtet, seit Monaten unterversorgt. Er hätte schon längst gestorben sein müssen, aber zumindest viel kleiner, dünner... Seine Nabelschnur hatte nur eine Arterie, war nicht mal kleinfingerdick, die Plazenta hatte ebenfalls nicht die Normalgröße usw. Aber er lebte, sah mich an, versuchte zu weinen (ich mit ihm) und ich war glücklich über meinen 2. Sohn, war stolz auf diesen kleinen Kämpfer und Gott unendlich dankbar, daß ich diesen Augenblick erleben durfte. Vermutlich kann das niemand nachvollziehen, aber so war es.

Jetzt ist das Ganze schon drei Monate her. Und es ist schrecklich! Ich vermisse Florian immer mehr. Alles in mir schreit nach dem Baby, das nicht da sein kann. Ich habe plötzlich mit Gefühlen zu kämpfen, die ich vorher so nie kannte: Ich bin neidisch auf andere Mütter, die stolz ihre Babies zeigen. Ich werde aggressiv, wenn ich einen dicken Bauch sehe. Ich fange an zu heulen, wenn ich nur über meine Freundin spreche, die vor drei Wochen ihr 2. Kind bekommen hat. Das Erste ist im gleichen Alter wie unser Großer.

Neulich trafen wir eine Bekannte auf der Strasse, die stolz einen Kinderwagen vor sich herschob: "Schaut mal, wir haben jetzt drei Kinder. Mein Baby ist schon drei Wochen alt." Ich entgegnete nur völlig frustriert: "Na und? Meines wäre jetzt schon 12 Wochen alt aber es ist gestorben." Oh Mann, so hätte ich früher nie reagiert.

Ich sehne mich nach einem Baby. Ich will unbedingt wieder schwanger werden. In den letzten 2 Wochen habe ich 2 Schwangerschaftstests gemacht, denn es könnte ja sein... Ich höre im Gottesdienst den Vers:

"Denkt nicht an das Frühere, und auf das Vergangene achtet nicht! Siehe, ich wirke neues! Jetzt sproßt es auf. Erkennt ihr es denn nicht?"
Jesaja 43,18+19

Herr, willst Du mir damit sagen, daß ich schwanger bin? –Natürlich war es nicht so.
Meine Gedanken kreisen um dieses eine Thema wie ein Alkoholiker, der nur an den nächsten Schluck denkt.
Da stimmt doch was nicht!
Wo ist es geblieben, das Vertrauen in Gott und in sein Versprechen, uns zu segnen? Warum sitze ich nicht mehr auf seinem Schoß und fühle mich geborgen und getragen von ihm wie ich es während der Schwangerschaft doch so häufig erlebt habe?
Ich verdrehe unbewußt die Prioritäten. Zuerst ein neues Baby, schnell eine neue Schwangerschaft und dann wird schon die Zufriedenheit und die Nähe zu Gott von selbst kommen. Irgendwo hakt es da. Aber es ist so schwer, den Babywunsch hintenan zu stellen und Gott an die erste Stelle zu setzen. Als würde er mir dann nie mehr ein Kind geben. Dabei sagt die Bibel doch: "Euer Vater im Himmel weiß ganz genau, was ihr braucht, noch ehe ihr ihn bittet." Matthäus 6,32

Also kurz gesagt: ich muß mich und mein aktives Vertrauen zu Gott erst wiederfinden. Das allgemeine Vertrauen in Gott ist schon da: das Wissen, daß er mich liebt, für mich sorgt... Aber das konkrete, das Vertrauen in genau diesem Moment fehlt, sonst würden sich meine Gedanken nicht verkrampft um "Ich will ein Baby" drehen, sondern ich könnte mich wieder fallen lassen in Seine Arme und wüßte beruhigt, daß Gott mir alles, auch ein Baby, zum richtigen Zeitpunkt schenken wird, wenn er will. Grade muß ich aber jede Minute um diese innere Ruhe kämpfen. Und immer, wenn ich wieder in Selbstmitleid versinken will (ich spreche von Selbstmitleid - das ist etwas ganz anderes als Trauer!), dann muß ich mir ganz bewußt sagen, daß Gott mich hält und ich Ihm vertrauen will, statt mich nur an meinen Wunsch zu klammern. Schwer! Und das, obwohl ich doch so oft erlebe, daß Gott mein Gebet erhört hat, daß wir und andere durch Florian gesegnet werden. Kaum zu glauben, aber das ist wirklich so!! Allein unsere Ehe hat einen ganz neuen Tiefgang, wir sind uns nah wie nie zuvor. Mein Sohn kuschelt endlich und scheint all das nachzuholen, wogegen er sich 2 Jahre gesträubt hat. Viele Leute kommen ins nachdenken und werden dankbarer und zufriedener. Und ich kann mit anderen über meinen Gott sprechen, meinen Papa im Himmel, der mir so sehr hilft - helfen will, wenn ich es zulasse. Wenn ich nur maule und mich sauer oder enttäuscht weg drehe, dann wartet er, bis ich wieder auf ihn zukomme, aber er drängt sich nicht auf.

Ja, ich trauere. Ich bin nicht mehr die Starke wie noch vor einigen Monaten. Ich ziehe mich öfter Mal zurück, denke nach und weine still in mich hinein, manchmal auch nach außen. Ich bin nicht mehr so sehr "in action", sondern vermehrt zu hause und in der Nachbarschaft. Die anderen müssen grade aktiv werden- werden sie auch. Das ist gut so, ich hab nämlich noch zu wenig Energie dazu. Das werden meine Freundschaften schon überstehen. Müssen sie einfach. Wenn ich kann bin ich kreativ, male, lackiere, gestalte das Grab, unsere Wohnung oder schreibe am Computer Briefe und Artikel wie diesen. Da ist noch kein großer Kopf für anderes. Das dauert wohl noch etwas. Es heißt ja nicht umsonst "Trauerprozess" statt "Trauermoment".

Es bleiben viele Fragen. Warum foltert mich Gott so lange, indem Er mir nicht sofort eine neue Schwangerschaft schenkt? Warum hat Gott unseren Flo nicht geheilt? Will Er dadurch mehr bewirken als durch eine Heilung? Oder ist da doch eine Belastung, ein Fluch, eine nicht erkannte Bindung? Obwohl ich alles, wirklich alles Gott im Gebet gegeben habe. Und warum ist mein eigener Bruder am selben Tag gestorben wie Florian, nur 25 Jahre vorher? Ist das alles Zufall?

Ich hätte nicht gedacht, daß mich unser kleiner Florian so sehr aus der Bahn wirft. Und trotzdem bereue ich nicht eine Entscheidung! Manchmal wünschte ich, er wäre früher gestorben - noch währen der ersten Hälfte der Schwangerschaft. Dann wäre die Bindung noch nicht so stark gewesen. Dann wäre der Schmerz nicht so groß. Dann wäre ich jetzt schon wieder schwanger. Aber vermutlich wäre ich dann ebenso traurig, weil ich meinen kleinen Schatz nie lebendig kennengelernt hätte. Eine Freundin sagte nach drei Fehlgeburten: Du hast es gut, Du hast ihn wenigstens begrüßen und verabschieden dürfen und Du hast einen Platz, an den Du gehen kannst mit Deiner Trauer.

Hätte ich abtreiben sollen? Dann wäre jetzt mit Sicherheit Ruhe- oberflächlich betrachtet. Aber vermutlich würde ich mir innerlich ewig Vorwürfe machen, denn ich hätte ja nie gewußt, ob Florian nicht doch lebensfähig gewesen wäre. Eine Abtreibung hätte bedeutet, daß ich bewußt nein sage zu ihm und zu seiner Behinderung. Das kann und konnte ich nicht.

Und doch ist es schwer, mit dem Schmerz zu leben. Es gibt Tage, da scheint alles wieder beinahe in Ordnung zu sein, gefolgt von Tagen, an denen ich nur unendlich traurig bin. Hatte ich wirklich noch vor kurzem ein Baby auf meinem Bauch liegen?

Man mag es bei all dem kaum glauben, aber trotz allem ist diese Zeit auch sehr, sehr bereichernd.

Und nicht zuletzt: Ich alleine hatte das Vorrecht, einen besonderen Menschen in mir zu haben und kennenzulernen, den kein anderer hier auf der Erde je kennenlernen wird. Was für ein Geschenk!

All dem voran ging übrigens ein Gebet. Ich habe mir vor etwa einem Jahr das Buch "Mein Gebet macht uns stark- Was geschieht, wenn Frauen für ihren Mann beten" von Stormie Omartian gekauft, gelesen und daraufhin gebetet. Mehr will ich dazu nicht sagen. Nur: mit Gott am Ruder kommt man durch jeden Sturm.

Steffi und Johannes mit Felix

 

 

Letzte Aktualisierung dieser Seite: 03.03.2020