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John Walter

13.12.1998

John’s Geschichte begann in der 16. Schwangerschaftswoche. Bis dahin verlief alles ereignislos. Bei einem Routineultraschall sah meine Hebamme, dass die Blase meines Babys viel zu gross war, so gross wie sein Kopf ! Sie wollte mich nicht beunruhigen, gab mir aber ein Rendez-vous für den kommenden Morgen bei einem Perinatologen. Als ich aus ihrer Praxis trat, alleine, war es mir, als ob die Welt untergehen würde. Auch wenn die Hebamme mir versicherte, es wäre alles ok, wusste ich in meinem Herzen, dass dem nicht so war.

Mein Mann und ich sahen den Perinatologen am nächsten Morgen. Er führte zusätzliche Untersuchungen durch und eröffnete uns, dass die Blase unseres Babys blockiert sei. Es sah so aus, als ob der Urin in die Nieren zurückgefliesse und diese so zum Versagen brächte. Er sagte uns, unser Baby (höchstwahrscheinlich ein Junge, da diese Art von Problemen meist bei Jungen auftreten) hätte weniger als 1% Chance die Geburt zu überleben. Das Beste, was wir tun könnten, sei die "Schwangerschaft" zu unterbrechen. Als ob unser Kind nur eine Schwangerschaft wäre und kein lebendiges Wesen. Wir sagten ihm, das käme für uns gar nicht in Frage, wir wollten eine Zweitmeinung einholen. Er brachte uns in Verbindung mit dem Perinatologen des hiesigen Universitätskrankenhauses. Zu diesem Zeitpunkt war ich bereits in der 18. Schwangerschaftswoche, doch niemand schien es eilig zu haben. Mehrere weitere Ultraschalluntersuchungen wurden durchgeführt und die ursprüngliche Diagnose bestätigt. Doch der neue Arzt gab uns etwas Hoffnung. Man könne nicht eindeutig sagen, ob die Nieren unseres Babys angegriffen seien oder schon versagt hätten. Er riet uns eine Serie von Urinpunktionen zu machen. Die Analyse des Urins würde zeigen können, ob die Nieren noch funktionieren. Wir waren einverstanden, und die erste Punktion wurde sofort durchgeführt.

Es war ganz ähnlich wie bei einer Fruchtwasserpunktion, nur dass die Nadel direkt in die Blase des Babys gestochen und dort Urinproben entnommen wurden. Der Eingriff beinhaltet das gleiche Risiko wie eine Fruchtwasserpunktion, deshalb bekam ich Bettruhe verordnet. Zwei Tage später wurde eine weitere Entnahme gemacht.

Das Ziel dieser Analysen war festzustellen, ob die Nieren noch funktionierten, denn wenn das der Fall sein würde, hätten wir zwei Möglichkeiten, dem Baby zu helfen :

  • Einen Shunt (Schlauch-Ventil-System) zu legen, um den Urin aus der Blase in die Fruchtblase zu leiten. Nach der Geburt würde die verstopfte Blase operiert werden.
  • Ein intra-uteriner chirurgischer Eingriff, bei dem versucht würde, die Blase vor der Geburt zu operieren.

Da das Baby kein Urin ausschied, hatte es auch kein Fruchtwasser um sich herum, und ohne Fruchtwasser können die Lungen nicht ausreifen.

Am nächsten Morgen bekamen wir einen Anruf vom Krankenhaus, der Arzt wolle mit uns sprechen. Wir wussten, dass es sich nur um schlechte Nachrichten handeln konnte. Der Arzt teilte uns mit, dass die Nieren versagt hätten, es gab nun nichts mehr, was für das Baby getan werden konnte. Er gab uns die Wahl, wir könnten entweder das Baby abtreiben, die Geburt einleiten oder das Kind austragen. Wir waren verzweifelt und hatten vorallem viele Fragen. Wenn wir das Kind austragen würden, würde es Schmerzen haben? Bestand eine Gefahr für meine Gesundheit? Der Arzt versicherte uns, dass ich keinerlei Risiken für meine Gesundheit einginge, nicht mehr als bei einer beliebig anderen Schwangerschaft. Er konnte uns aber nicht sagen, ob das Baby leiden würde, doch er war sich sicher, dass das Baby nach der Geburt ohne ausgereifte Lungen nur wenige Minuten leben würde. Wir sagten ihm, dass eine Abtreibung für uns nicht in Frage käme, und dass wir Zeit brauchten um zu einer Entscheidung zu kommen.

Dies war die schwierigste Entscheidung, die ich je treffen musste. Durch beten und fasten fanden wir zu unserer Entscheidung. Wir wussten, dass Gott uns durch dieses Kind gesegnet hatte. Er allein kann geben und nehmen. So entschlossen wir uns, das Baby bis zum Geburtstermin auszutragen, oder zumindest so lange, wie sein Körper es uns erlauben würde. Der Arzt war nicht besonders begeistert, doch er erlaubte uns weiterhin die Hebamme zu sehen.

Die Schwangerschaft verlief normal, ausser eben dass ich kein Fruchtwasser hatte. Ich fühlte das Baby mehr als ich meinen ersten Sohn gespürt hatte, wahrscheinlich weil kein Fruchtwasser seine Bewegungen dämpfte. Ich erinnere mich, wie ich in einem Geschäft Babykleidung sah, und mein erster Impuls war: "Das werde ich kaufen", doch dann überkam mich die Realität, nein, ich brauchte keine Babykleidung mehr. Meine Hebamme gab uns nur wenig Hoffnung, auch wenn sie sonst wunderbar war und mich in meiner Wahl unterstützte. Ich bin ihr dankbar, dass sie so ehrlich mit mir war.

Anstatt ein Babyzimmer einzurichten, plante ich die Beerdigung. Ich wollte, alles perfekt haben. Es war das Einzige, was ich je für mein Baby machen könnte. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bat den himmlischen Vater jeden Tag um Heilung. Doch ich wusste in meinem Herzen, dass er es nicht tun würde. So genoss ich jeden einzelnen Tag der Schwangerschaft, jede einzelne Bewegung des Babys. Da kein Fruchtwasser da war, war das Baby immer zusammengekauert und die Hebamme konnte das Geschlecht des Kindes nicht bestimmen. Wir nahmen an, es sei ein Junge und gaben ihm den Namen John Walter, nach seinen beiden Urgrossvätern.

Der Geburtstermin war am 15. Januar 1999. Doch am 12. Dezember bekam ich Wehen und John Walter erlickte das Licht der Welt am 13. Dezember um 1:30 Uhr morgens. Ich war in der 35. Schwangerschaftswoche. Die Geburt verlief sehr schnell, was ein Segen war. Er schrie, als er geboren wurde, ein kleiner Schrei zwar, aber trotzdem ein Schrei. Das war eine Ueberraschung, denn die Hebamme meinte, er würde wohl die Geburt nicht überleben. Er wog 2040g und war wunderschön. Seine Haut war aber blau. Wir gaben ihm sofort seinen Namen und segneten ihn. Das Neonatologenteam wartete bereits auf ihn. Sie wussten, dass wir keinerlei lebensverlängerde Massnahmen wollten. Wir wollten ihn nicht an eine Maschine anschliessen, um kurz darauf die Entscheidung treffen zu müssen, die Maschine abzuschalten. Sie blieben neben meinem Bett, so war John nie aus meiner Sichtweite. Nach zehn Minuten bekam er grosse Mühe alleine zu atmen.

Wir willigten ein, ihm solange Sauerstoff zuzuführen, bis die Röntgenaufnahmen seiner Lunge gemacht sein würden. Wir wollten sicher sein, dass nichts mehr gemacht werden könnte, um ihm zu helfen.

Wir hielten ihn in unseren Armen, und so lernte er seinen grossen Bruder Sam (2 Jahre alt) kennen. Wir machten viele Fotos und Videoaufnahmen.

Ein Neonatologe kam zu uns sobald das Röntgenbild fertig war und sagte uns, dass John nicht genug Lungenmasse hatte, um zu überleben. Es gab nichts mehr, was für uns gemacht werden konnte. Das waren die schwierigsten Worte, die ich je hören musste. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich immer noch einen kleinen Hoffnungsschimmer, dass John doch gesund sein würde. Der Arzt sagte uns es täte ihm sehr leid und verliess uns. Wir baten die Neonatologen, den Sauerstoffschlauch zu entfernen. Unser Pfarrer segnete John und dann baten wir alle, den Raum zu verlassen.

Wir hielten ihn in unseren Armen, als er diese Welt verliess. Jetzt ist er in den Armen seines himmlischen Vaters. Er lebte während genau zwei Stunden. Unsere Familie war mit uns, um John Willkommen zu heissen und nun kamen sie zurück um ihm auf Wiedersehen zu sagen. Dann liessen sie uns alleine mit ihm. Wir badeten ihn und legten ihm die Kleider an, die wir vorbereitet hatten. Wir behielten ihn noch mehrere Stunden bei uns. Doch dann gaben wir seinen Körper zur Obduktion frei.

Drei Tage später wurde er neben seinem Urgrossvater John begraben.

Die Obduktion ergab, dass John ein seltenes Syndrom hatte, VATER Association (oder VACTERL). Jeder Buchstabe steht für ein Krankheitsbild. VATER Asscociation ist nicht immer fatal, aber John hatte eine besonders schlimme Form. Er hatte mehrere Missbildungen.

Ich bin so dankbar, dass wir uns entschlossen hatten, John auszutragen. Dankbar für die zwei Stunden, die uns mit ihm gegeben waren. Falls dies nocheinmal geschehen sollte (die Ärzte sagten uns, dass ein Risiko bestünde), so würde ich auf jeden Fall wieder gleich entscheiden. Es ist nicht unsere Rolle als Eltern über den Tod unseres Kindes zu entscheiden.

Jaime Taylor

 

 

Letzte Aktualisierung dieser Seite: 03.03.2020