Lars
21.April - 22.April 2003
Ich schreibe diesen Bericht weil ich
hoffe dass er Eltern die in einer ähnlichen Situation wie wir es
damals waren eine Hilfe oder eine Anregung sein kann.
Lars kurzes Leben hat nicht nur unsere
Familie berührt, sein Dasein hat vielen Menschen gezeigt wie
unberechenbar und oft unplanbar viele Dinge in unserem Leben sind.
Ich wünsche mir, dass ich etwas zeigen kann von Gottes Grösse
und seinem Segen den er uns mit Lars geschenkt hat. Wie sehr er uns
durch das schwere Leid aber auch die grosse Freude geführt hat.
Auf unserem Geburts/Todeskärtchen von Lars steht - Dein Wille
geschehe - das wurde mir damals so klar bewusst - unsere Zeit steht
in seinen Händen.
Lars Leben war von Gott gewollt - wir
haben so viel Segen erfahren, dass ich ihn ausgetragen habe bis zum
Zeitpunkt den Gott bestimmt hatte. Die Anteilnahme von Freunden,
Verwandten Arzt/ und Pflegepersonal, ja zum Teil uns fremden
Menschen, war überwältigend. Ich möchte jeder Frau und
jedem Mann ans Herz legen nicht voreilig zu handeln, wenn Ärzte
zum Schwangerschaftsabbruch raten. Es ist schwer mit dem Wissen um
eine Behinderung oder gar dem frühen Tod des eigenen Kindes zu
leben. Aber es wird nicht gelingen, dies mit einem frühen
Abbruch zu vergessen oder ungeschehen zu machen. Es ist eine so
reiche Erfahrung die Sie hier machen dürfen und solch ein
Privileg Eltern von gerade diesem Kind zu sein - geben Sie ihm all
die Liebe die es erwartet und verdient hat. Sie werden es nie
bereuen!
Nach unseren beiden Söhnen Till
und Nils wurde ich glücklich nochmals schwanger. Ich habe
gewusst dass dieses Baby einfach sein “musste”,
irgendetwas war hier anders, das hatte ich gefühlt. Beim ersten
Ultraschall bestätigte sich mein Gefühl - sofort fiel die
verdickte Nackenfalte auf. Ich war überhaupt nicht überrascht.
Unsere Ärztin wollte uns nicht beunruhigen sagte aber doch dass
dies auf eine Behinderung (Down Syndrom, Spina Bifida oder
Herzfehler) deuten könnte. Gewissheit hätte man aber nur
mit mehr Tests. Da dies für unser Kind nichts bringen würde
entschlossen wir uns für einen besseren Ultraschall Untersuch so
in der 21. Schwangerschaftswoche. Wir gingen mit einem anderen Gefühl
heim als bei unseren beiden älteren Jungs. Die Gedanken kreisten
- ist es Down Syndrom oder was mit dem Herzen? Ich wusste nur eins:
Gott trägt uns nichts auf, was wir nicht tragen können. Das
gab mir Kraft und Zuversicht. Es könnte ja auch alles gut sein.
Eine Hoffnung? Eigentlich ist es gut wenn man sich vorbereiten kann
sagte Andi, mein Mann, und da hatte er recht. Die Jungs freuten sich
sehr auf ihr kleines Geschwisterchen und erzählten ihm jeden
Abend durch meinen immer dickeren Bauch, vor dem Schlafen gehen das
Wichtigste vom Tag... Beim nächsten US waren sie denn auch
dabei. Nils (3) interessierte mehr die Riesenmenge Gel die auf meinen
Bauch kam und Till (5 ½) will schon alles genau erkannt haben.
Diesmal schien alles in Ordnung, das Baby fit und toll gewachsen.
Nichts Verdächtiges, da keimte Hoffnung auf.
Vier Wochen später fand unsere
Ärztin nicht alle vier Herzklappen - ansonsten sah alles gut
aus. Wir machten einen Termin im Frauenspital ab um mit einem
besseren US mehr zu sehen, besonders auch im Hinblick auf die Geburt.
Ich hatte eine wunderbare Schwangerschaft, die normalen
Nebenerscheinungen, und eine grosse Freude nicht nur im Bauch, auch
im Herzen. Wir freuten uns alle sehr auf dieses dritte Kind. Einzig
die Sprüche “Hauptsache es ist gesund” ertrug ich
nicht so gut. Natürlich wäre es umso schöner wenn es
gesund wäre, aber ....
In der 24.SSW. erfuhren wir das
Unausweichliche - Unser Baby ist nicht lebensfähig! Ich hatte in
meinen Gebeten um Klarheit gebeten. Ich wollte nicht entscheiden um
Leben oder Tod, aber dass es außerhalb von meinem Bauch nicht
leben würde? Dabei hatten wir uns auf eine Behinderung schon
eingestellt....
Der Ultraschall dauerte etwa 45 Min.
und der US Spezialist fand immer mehr Behinderungen. Das Hauptproblem
sei das Herz. Hypoplastisches Linksherz Syndrom und mit grosser
Wahrscheinlichkeit Trisomie 13. (Was bei Bluttests der Plazenta nach
der Geburt bestätigt wurde.) In meinem Tagebuch habe ich
geschrieben: Allzu hübsch wirst du wohl nicht aussehen, dein
Näschen sieht man fast nicht wegen der grossen Kiefer-
Gaumenspalte, sechs Fingerchen und Zehen hast du wohl auch, aber
kräftig bist du, wenn ich sehe wie dein einzigartiges Herz das
Blut verkehrt rum in deinen Körper pumpt... Wir wollten jetzt
plötzlich wissen ob du ein Mädchen oder Junge bist. Damit
wir dir dich mit Namen kennen. LARS - unser dritter Junge - ich freue
mich so auf dich und bin doch so unendlich traurig.
Ich wollte nicht mehr, dass man ihn
länger störte und bat den Ultraschall zu beenden. Uns wurde
sofort die Möglichkeit von noch mehr Tests oder einem Abbruch
gemacht. Obwohl ich das ganze Ausmass noch gar nicht fassen konnte
war für uns Beide ganz klar, dass es dazu nie kommt! Gott hat
uns dies Leben geschenkt, es liegt nicht in unserer Entscheidung es
zu beenden. Ich war so froh, dass wir uns nicht um solche Fragen
streiten mussten. Diese Schwangerschaft zeigte uns wie gut es war,
dass wir uns in solch fundamentalen Dingen einig waren.
Die Zeit der Trauer hatte begonnen
obwohl unser Kind noch gar nicht geboren war. Wir weinten beide viel,
das war gut. Jetzt konnten wir es auch den Kindern sagen. Nils
begriff noch nicht recht und Till sagte: aber dann war doch alles
vergebens? Ich konnte ihn so gut verstehen und probierte ihm zu
erklären dass da ein grosser Unterschied ist ob er ein zweites
Brüderchen habe, das zwar gestorben ist, oder ob da nie ein Lars
in Mamis Bauch gewesen wäre.
Ich hatte viele Auf und Abs. Da waren
so viele Fragen. Wie stirbst du? Wie lange hast du Zeit? Wie siehst
du aus? Wie geht das Geburt und Beerdigung? Ich kann dich ja gar
nicht stillen? Alles ist bereit für dich - nur du bist nicht
mehr da?
Wir beteten, dass Lars noch etwas leben
durfte nach der Geburt, dass er heim kommen kann, dass wir ihn halten
können....
In dieser Zeit halfen mir all die
Erlebnisberichte und zum Teil Telefone mit anderen betroffen Müttern.
Sie erzählten mir was Sie unbedingt wieder so machen würden
oder wo ich speziell drauf achten sollte. Ihre Ratschläge taten
mir gut. Die Internetseiten www.anencephalie-info.org, www.prenat.ch
und www.trisomie13.de zeigten mir wie viele Schicksale ähnlich
dem unseren verlaufen sind. Ich merkte, wie dankbar ich war, Zeit zum
Vorbereiten zu haben. Wir stellten Listen auf mit unseren Wünschen
und Plänen für die Geburt und die Beerdigung. Wenn Gott
unseren Lars heilen möchte, wäre alles schnell weggeworfen,
aber wenn uns tatsächlich nur wenig Zeit bleiben sollte, wollten
wir diese ganz unserem Sohn widmen.
Einen Monat nach unserem klaren US
Befund trafen wir uns mit einem Herzspezialisten nochmals zum
Ultraschall. Er versetzte sich sehr gut in unsere Lage und
unterstützte uns dabei Lars sobald wie möglich nach der
Geburt heim zu nehmen und ihn in Frieden sterben zu lassen. Mit einem
klar dokumentierten Bericht von der Klinik war es denn auch den
Kinderärzten in unserem Spital eher möglich unseren Wunsch
zu respektieren. Ich verstand und verstehe noch heute diese Ironie
kaum, dass man ein Baby, zum Zeitpunkt der pränatalen
Diagnosestellung abtreiben kann/soll (nur weil unsere Gesellschaft
damit nicht mehr umzugehen weiss), dass aber andererseits nach der
Geburt dafür gekämpften werden muss, dass es in Frieden
sterben darf. Wo fängt denn das Leben an? Erst außerhalb
des Mutterleibes oder erst nach der 1. oder 6. Schwangerschaftswoche?
Eine andere Frage stellte ich mir
unzählige Male: wie sollte ich im Wissen gebären, dass Lars
außerhalb von mir nicht mehr lange leben können würde?
Ich war seine Intensivstation und auch die Ärzte meinten es sei
ein Wunder, dass er so kräftig sei.
Wir mussten uns auch darauf
vorbereiten, dass er eventuell schon im Bauch stirbt - ich betete
darum, dass mir das erspart bleiben würde! Es gab mehrere
Momente wo ich seine kräftigen Tritte nicht mehr spürte,
und ich war jedes Mal wahnsinnig erleichtert, als er sich dann wieder
“meldete”.
Wir haben die kurze Zeit mit Lars
intensiv genossen. Wir hatten das Glück, ihn hier und jetzt zu
lieben so wie er war, ihn in unsere Familie zu integrieren. Er war
und ist so sehr Teil von uns. Da ist eine so starke Liebe gewachsen
wie man es nicht für möglich halten könnte.
Ich stellte mir manchmal vor wie er
aussehen würde und da quälten mich die unklaren
Ultraschallbilder. Wie beruhigend waren dann wieder die Berichte von
Müttern die erzählten, dass die Entstellungen oder
Behinderungen völlig verblasst seien ob der Freude.
Die Geburtskarten hatten wir
geschrieben, Hebammen und Spital informiert, Photoapparate und
wichtige persönliche Gegenstände waren bereit. Plötzlich
wurde mir bewusst wie entgültig alles ist. Es gibt kein
Entkommen , ich muss da durch, das kommt unhaltsam auf mich zu. Und
als es (einen Monat zu früh) passend an Ostern losging, war ich
traurig, aufgeregt aber auch froh dass es weiterging. Obwohl die
Geburt ganz anders verlief als bei Till und Nils war es doch einfach
gut so. Unsere Hebamme und die Ärztin waren beide in den Ferien,
aber weil alle vorgängig informiert waren, hatten wir trotzdem
eine beispielhafte Betreuung. Ich war so froh, dass ich Lars während
der Geburt immer wieder spürte. Da er auch kleiner war ( sein
Wachstum war in der 28.SSW. stehen geblieben ) musste er keine allzu
lange Geburt über sich ergehen lassen.
Was für ein Moment - er lebte!
Klein, warm, schmierig, dünn, quäkte er sogar etwas in
meinen Armen. Jetzt war er da - wir hatten Zeit ihn zu betrachten. Er
war so vollkommen, mit seinen dunklen Haaren auf dem Kopf, dem
platten Näschen, als ob er grad vom Boxkampf käme, er hatte
die Augen geschlossen - er hat sie sein ganzes Leben nie aufgemacht.
Die sechs Zehen bemerkte man nur wenn man sie auch bewusst zählte,
und die Kiefer/Gaumenspalte störte uns nicht im geringsten, es
passte einfach so. Am liebsten mochte er es auf mir oder Papi zu
liegen und das tat er denn auch bis zu seinem Tod. Till und Nils
waren sofort nach der Geburt da und bestaunten ihren kleinen Bruder.
Auch sie schien die Kiefer- Gaumenspalte weit weniger zu stören
als die “normale” Käseschmiere und die runzlige
Haut.
Nachdem die Ärztin zusammen mit
der Hebamme unseren Lars untersucht hatte, durften wir gehen. Wir
wurden im Spital sehr rücksichtsvoll und mitfühlend
betreut, aber jetzt wollten wir, wie damals schon mit unseren beiden
anderen Söhnen, heim. Die Nacht und den nächsten Tag mit
unserem Baby schien die Zeit einfach still zu stehen. Grosseltern,
Paten und die nächsten Verwandten besuchten ihn. Die Zeit war
knapp, er wurde immer schwächer, die Anzeichen des Herzfehlers
machten sich immer häufiger bemerkbar, er wurde blau, aber er
kämpfte tapfer weiter. Wir waren mit ihm allein als er seinen
letzten Atemzug in meinen Armen tat....
Lars war gegangen!
Es ist wohl schwer zu verstehen, aber
es war so ein feierlicher Moment als wir ihn dann einsalbten, ihm
die, damals unter Tränen gekauften, Kleidchen anzogen, ihn immer
wieder im Kerzenlicht betrachteten und ihn dann zum ersten Mal in die
Wiege legten.
Wir waren so froh für alles was
wir vorbereitet hatten. Wir hatten viele Helfer, die gekocht,
geplant, gehütet, eingekauft und gebetet haben. Auch die
Beerdigung, die ich mir nicht wirklich vorstellen konnte, war mit all
den farbigen Ballons im blauen Himmel, den lebhaften Kindern und dem
Frieden den wir erfahren durften, ein Segen.
Etwas mehr als ein Jahr ist seither
vergangen. Als ich den Bericht schrieb bin ich immer wieder in Tränen
ausgebrochen, so nah ist das Ganze und doch so fern. Die Trauer war
oft so schmerzhaft, ich hab mein Baby so sehr vermisst, ich hatte
Milch aber da war niemand der sie trinken konnte....
Er fehlt mir, er fehlt uns, wir
vermissen ihn unseren kleinen Lars. Sein Leben hat so viel bewirkt,
vieles werden wir nie erfahren, Gott allein weiss warum er nur so
kurz da war.
Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken
und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr, sondern so
viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege
höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken.
Jesaja, 55,8.9
Angelina
Nachtrag:
am 2. Juni 2005 wurde wir mit unserem
vierten Sohn gesegnet, Jens. Wir sind überglücklich und von
Herzen dankbar!
Angelina kann über den webmaster erreicht werden.
Letzte Aktualisierung dieser Seite: 03.03.2020