Victoria
Verschiedene Gründe haben uns dazu bewogen, Victorias Geschichte ins Internet
zu setzen. Wir hoffen, dass sie anderen Eltern helfen mag, deren
ungeborenes Kind auch mit Trisomie 13 oder einem ähnlichen
Problem diagnostiziert wurde. Wir hoffen auch, dass sie den
Mitmenschen betroffener Eltern helfen mag, besser zu verstehen, was
es bedeutet, in einer solchen Situation zu stecken, und dass sie
ihnen mit diesem Wissen besser zur Seite stehen können.
Vielleicht inspiriert es auch einige zu lesen, welche Kraft wir in
Gott gefunden haben. Und schliesslich hoffen wir, dass diese
Geschichte ein Tribut an unsere liebe Tochter Victoria sein wird, die
in ihrem kurzen Leben so viele Menschen berührt hat.
1996 beschlossen wir, eine Familie zu gründen. Als wir im Dezember
herausfanden, dass ich schwanger war, waren wir ausser uns vor
Freude. Doch am 7. Februar 1997 hatte ich eine Fehlgeburt. Wir waren
am Boden zerstört. Wir wussten, dass diese Fehlgeburt ein Teil
von Gottes Plan für unser Leben war, doch verstanden wir nicht,
weshalb uns das geschehen musste. Es folgten lange Monate, während
derer wir hofften, dass ich bald wieder guter Hoffnung sein würde.
Eineinhalb Jahre lang versuchten wir, mit Hilfe unseres Arztes, alle
Mittel schwanger zu werden. Und mussten nach dieser Zeit einsehen,
dass auch die beste Sterilitätsbehandlung keinen Erfolg haben
kann, wenn Gott es nicht will. Wie frustrierend ist es für uns
Menschen, wenn Gottes Zeitplan nicht mit unseren Wünschen
übereinstimmt ! Immer wieder mussten wir uns in Erinnerung
rufen, dass falls und wenn ich wieder schwanger werden würde, es
nach Gottes Zeitplan geschehen würde. Im November 1998 durfte
ich endlich den positiven Test in der Hand halten. Die Freude, zum
ersten Mal den Herzschlag unserer Tochter auf dem
Ultraschallbildschirm zu sehen, war unbeschreiblich. Weihnachten war
so fröhlich für uns, denn wir waren im Wissen, endlich die
langersehnte Familie zu sein. Nächstes Jahr würden wir mit
unserem Baby feiern.
Im März liess ich einen AFP-Test
machen (Alpha-Feto-Protein, ein routinemässiger Bluttest, um die
Wahrscheinlichkeit eines Neuralrohrdefekt oder einer Trisomie zu
bestimmen), das Resultat zeigte eine leicht erhöhte
Wahrscheinlichkeit für die Trisomie 21 (1 auf 135). Unser
Frauenarzt empfahl uns, eine detaillierte Ultraschalluntersuchung und
eine Fruchtwasserpunktion machen zu lassen. Wir wollten das Leben
unseres Babys nicht durch eine Fruchtwasserpunktion in Gefahr
bringen, und doch schien es uns wichtig, uns auf eine eventuelle
Behinderung vorbereiten zu können. So beschlossen wir, vorerst
einen detaillierten Ultraschall machen zu lassen, wobei man manche
Zeichen von Behinderungen sehen kann. Währenddem wir im
Wartezimmer sassen, betete ich, Gott möge uns leiten. Die
Untersuchung zeigte, dass unser Baby mehrere schwere Probleme hatte.
Ein Omphalocele (durch eine Oeffnung in der Bauchwand treten Organe
aus), ein wahrscheinlicher Herzfehler und eine erhöhte
Nachentransparenz (tritt meist im Zusammenhang mit
Chromosomenstörungen auf). Der Perinatologe sagte uns auf Grund
dieser Befunde, er sei sich ziemlich sicher, dass unser Baby eine
Chromosomenstörung habe, und dass nur eine Fruchtwasserpunktion
mit Sicherheit bestimmen könne, um welche es sich handle. Er
erklärte uns, dass unser Baby im Falle einer Trisomie 21 trotz
der diagnostizierten Fehlbildungen eine gute Lebensqualität
haben könne. Wenn es allerdings an Trisomie 13 oder 18 leide
(viel seltenere Chromosomenstörungen), bestände keine
Hoffnung auf ein Ueberleben. Es bestand kein Zweifel mehr, nun
brauchten wir die Fruchtwasserpunktion. Mein Mann Rob und ich waren
zu schockiert, um etwas sagen zu können. Während des
Eingriffs liefen mir die Tränen runter. Man sagte uns, wir
müssten eine Woche auf die Ergebnisse warten. Bevor der
Perinatologe uns verliess, nahm er mich bei der Hand und sagte : "In
Zeiten wie diesen müssen wir um jeden Segen dankbar sein."
Ich sass da, unfähig das Gesagte in mich aufzunehmen. Von Nebel
umhüllt fuhren wir nach Hause, zu benommen um zu sprechen.
Bald nachdem wir nach Hause kamen, telefonierte uns eine Freundin, um zu
fragen, wie der Untersuch verlaufen sei. Nachdem ich es ihr
mitgeteilt hatte, wurde sie wütend und sagte: "Wie kann
Gott euch das antun, nach allem, was ihr schon erlebt habt?" Ich
erklärte ihr, dass ich nicht wütend sei, und dass das auch
irgendwie zu Gottes Plan gehörte. Sie versprach mir, für
uns zu beten. In diesem Moment begann ich zu weinen. Ich wusste nicht
einmal wofür zu beten; wenn das Baby an einer Trisomie leide,
würde es vielleicht leben, aber eine Operation könnte
tödlich, die Lebensqualität schlecht sein. Wenn es ein
anderes Chromosomenproblem haben würde, würde es
wahrscheinlich nicht überleben, aber auch nicht leiden müssen.
Das Beste, das wir hoffen konnten, war, dass es ein Baby mit einer
Trisomie, aber guten Lebensfunktionen sein würde und es die
verschiedenen Operationen, um die Omphalocele und die Herzstörungen
zu korrigieren, überleben würde. Rob rief seine Eltern an,
um ihnen die Neuigkeit mitzuteilen. Sie wollten sofort zu uns kommen,
um uns zu trösten, aber wir brauchten im Moment einfach die Ruhe
und Stille, um mit unseren Gedanken fertig zu werden.
Sie
kamen dann am nächsten Tag. Ich dachte zwar, dass ich niemanden
um mich haben wolle, aber es war trotzdem gut, nicht alleine zu sein.
Sie trösteten uns und weinten mit uns. Es war nicht nur unser
Baby, sondern auch ihr Enkelkind. Ich brachte es nicht über‘s
Herz meine Familie zu benachrichtigen. Wie kann man jemandem
mitteilen, dass das sein ungeborenes Baby schon schwerwiegende
Probleme hat?
Die nächste Woche bleibt mir nur verschwommen in Erinnerung. Rob
ging wieder zur Arbeit. Meine Schwiegerfamilie versuchte mich zu
beschäftigen, damit ich nicht nur herumsitze und vor mich
hingrüble. Endlich, nach einer Woche, bekamen wir den Bescheid,
dass unser Baby an Trisomie 13 leide. Wir konnten es nicht glauben.
Wie konnte das uns passieren? Wir begannen im Internet nach
Informationen zu suchen, und lernten, dass die Trisomie 13 ein sehr
seltener Defekt ist, der in einer auf 5000 Geburten vorkommt. Diese
Statistik ist jedoch irreführend, denn die meisten Babies
sterben während den ersten 3 Schwangerschaftsmonaten und falls
sie diese ersten Wochen überleben, brechen die meisten Eltern
die Schwangerschaft nach der Diagnosestellung ab. Wir vernahmen auch,
dass im Falle einer Geburt, die meisten Babies in den ersten 3
Lebensmonaten sterben und nur 5% das erste Lebensjahr vollenden. Die
Ueberlebenschancen hängen vor allem von den Fehlbildungen der
Babies ab, die je nach Kind verschieden sein können. Typische
Geburtsanomalien beinhalten: Herzfehler, Hirnstörungen,
Kopfhautdefekte, Lippen- und Gaumenspalten, zusätzliche Finger
und Zehen, kleine Körpergrösse, Spaltbildungen an der
Wirbelsäule, Seh- und Hörprobleme (zum Teil Taubheit) und
geistige Behinderung. Ueberlebende Kindern können
Atmungsstörungen und –Stillstände, kleines
Körperwachstum und Essensstörungen aufweisen. Das bisschen
Information, das wir bekommen konnten, war absolut schmerzhaft.
Nach ein paar Tagen trafen wir den Perinatologe. Er bestätigte das
Ergebnis der Tests. Er sagte uns, es sei sehr ungewöhnlich, dass
das Baby immer noch lebe und es die 30. Schwangerschaftswoche wohl
kaum überleben würde (wir waren in der 17.
Schwangerschaftswoche). Falls es bis zum Geburtstermin leben würde,
würde es nicht mehr als ein paar Tage am Leben bleiben. Unsere
einzige Möglichkeit sei, die Schwangerschaft zu unterbrechen.
Aber wir sagten ihm, dies käme für uns nicht in Frage. Er
meinte dann, es würde sehr schwierig für uns sein, die
Schwangerschaft weiterzuführen. Ich fragte ihn, ob diese
Schwangerschaft ein grösseres Risiko für mich bedeutete,
als eine normalverlaufende, aber er versicherte mir, dass dies nicht
der Fall sei. Das einzige physische Problem für mich sei, dass
ich mehr Fruchtwasser wegen der Omphalocele und somit Mühe beim
Atmen haben könne. Es wäre aber einfach, das Fruchtwasser
falls nötig zu reduzieren. Ich könne zudem Diabetes oder
Bluthochdruck entwickeln, aber diese Risiken sind bei allen
Schwangerschaften vorhanden. Diese Risiken hatte ich in Kauf
genommen, als ich schwanger wurde.
Wenn ich zurückblicke, weiss ich, dass für mich und Rob ein
Schwangerschaftsabbruch nie in Frage gekommen wäre. Wir spürten,
dass Gott unser Baby geschaffen hatte und es wieder zu sich nehmen
würde, wenn es seine Zeit sein würde. Wir hatten beide die
gleiche Ueberzeugung. Es wäre schwieriger gewesen, wäre
dies nicht der Fall gewesen. Der Perinatologe akzeptierte unsere
Entscheidung mit Zurückhaltung und riet uns, jede Woche zum
Gynäkologen zu gehen, um festzustellen, ob das Herz des Babys
immer noch schlage. Falls unser Baby weiter leben würde, empfahl
er uns vor, keine Operation wegen der Omphalocele oder des
Herzdefekts vorzunehmen, da dies sehr traumatisierend und schmerzvoll
für das Baby wäre. Wir sollen es einfach komfortabel
halten. Das schien uns richtig, wir fragten aber nicht, was dieser
Begriff genau beinhalte.
Der Perinatologe sagte uns auch, dass unser Risiko ein weiteres Kinder
mit Trisomie 13 zu bekommen, sehr minim sei. Er erklärte uns,
dass Trisomie 13 vererbt werden könne, normalerweise aber nur
ein natürlicher "Zufall" sei. Dies erschien uns jedoch
unwichtig, dachten wir doch, dass ich nie wieder schwanger werden
würde. Wir hatten schon eine Fehlgeburt und verschiedene
Kinderwunschbehandlungen hinter uns und nun das. Wir wollten im
Moment einfach keine neuen schmerzvollen Erlebnisse. Wir dachten,
dass es vielleicht nicht Gottes Plan für uns sei, eigene Kinder
zu haben. Seither haben wir unsere Meinung geändert und es
wieder versucht.
Wir waren gesegnet mit mitfühlenden und sensiblen Gynäkologen.
Sie respektierten unsere Entscheidung die Schwangerschaft
weiterzuführen und waren entschlossen, uns wie immer auch
möglich zu helfen. Jede Woche untersuchten sie mich und das
Baby, um zu sehen, ob sein Herz immer noch schlug und jedesmal
hielten wir unseren Atem an, weil wir nicht wussten, ob es vielleicht
diese Woche ausgesetzt hatte. Die Aerzte sagten mir, dass die Wehen
jederzeit einsetzen können. Um immer erreichbar zu sein, trug
mein Mann einen "Pager" mit sich. Auch unsere Familie
reiste nicht mehr weit, um bei einer eventuellen Geburt da sein zu
können.
Wir beteten jeden Tag um Gottes Hilfe und Kraft in dieser Situation und
dafür, dass unser Baby nicht leiden müsse. Zuerst wünschte
ich mir, dass die Schwangerschaft so schnell wie möglich zu Ende
gehe, denn ich war mir bewusst, je länger ich das Baby in mir
tragen würde, desto enger würde ich mich mit ihm verbunden
fühlen. Aber auch wenn wir wussten, wie schmerzvoll der Abschied
sein würde, hörten wir nicht auf es zu lieben, wie alle
Eltern es tun würden. Wie die Zeit verging, hörte ich auf,
mich vor diesem Tag des Abschiednehmens zu fürchten und
versuchte, mich an jedem neuen Tag zu freuen, der uns noch mit ihr
geschenkt wurde. Ich war jedes mal glücklich, ihre Bewegungen
oder Fusstritte zu spüren, es erinnerte mich daran, dass sie
immer noch lebte. Es war mir auch bewusst, dass sie sich
wahrscheinlich nie "ausserhalb" meines Bauches bewegen
würde. Wir waren dankbar für jede Kleinigkeit mit ihr. Wenn
Rob Gitarre spielte, drehte sie sich im Kreise, als wolle sie tanzen.
Wir waren erstaunt darüber, hatten wir doch gehört, dass
die meisten Trisomie 13-Kinder taub seien. Ich sagte meiner Tochter
unzählige Male auf Wiedersehen, weil ich nicht wusste, ob sie
den nächsten Tag noch bei uns sein würde.
Wir baten alle Bekannten für unser Baby zu beten. Ich kann gar nicht
aufzählen, wie viele Menschen für sie gebetet haben, Leute,
die wir nicht einmal kannten (sogar ein Nonnenorden in Ohio). Der
Gedanke, dass alle diese Leute an uns dachten und für uns im
Gebet einstanden, hat uns tief berührt und uns Kraft gegeben.
Wir waren wirklich nicht alleine in dieser Leid. Wir erhielten
unglaubliche Unterstützung von unserer Familie und Freunden.
Etwas vom Hilfreichsten war, dass sie uns beschäftigt hielten.
Meine Schwiegermutter und Schwägerin nahmen mich mit zum
Einkaufen oder Essengehen. Sie luden uns oft zu einer Pizza oder
einem Hamburger zu sich nach Hause ein. Es war wichtig für uns,
mit Menschen zusammen zu sein, die uns liebten und sich um uns
sorgten. Robs Bruder schlug uns sogar vor, uns zu den Terminen beim
Arzt zu begleiten, denn er wusste, wie anstrengend dies für uns
war. Wir erhielten viele liebe Karten und Briefe von Freunden und
Bekannten. Unsere Freunde riefen uns regelmässig an, um zu
sehen, wie es uns ging und um uns zu ermutigen. Wir bemerkten aber
auch, dass andere Freunde den Kontakt mit uns vermieden,
wahrscheinlich, weil für sie unsere Situation zu überwältigend
war und sie nicht wussten, was sie sagen oder wie sie sich verhalten
sollten.
Wir wollten uns aber nicht über diese abwesenden Freunde kümmern,
sondern uns auf die Hilfe und Unterstützung der treuen Freunde
konzentrieren. Wir werden nie genug unsere Dankbarkeit unseren
Freunden und unserer Familie gegenüber zum Ausdruck bringen
können, für alles was sie für uns getan haben während
dieser schwierigen Zeit. Gott hat uns wirklich reich gesegnet durch
sie alle.
Während dieser Zeit schenkten uns Freunde zwei sehr hilfreiche Bücher.
In einer Geschichte erzählt die Autorin, wie sie ihre fünf
Babies verloren hatte, aber wie sie auch durch all diese
schmerzvollen Erlebnisse eine tiefere Liebe und Beziehung zu Gott
gefunden hat. Im zweiten Buch schreiben Joni Eareckson Tada und ihr
Mann über Fragen des Schmerzes und des Leids und warum Gott das
alles zulässt in unserem Leben.
Die Tage wurden zu Wochen und die Wochen zu Monaten. Der Perinatologe
sagte uns, dass unser Baby wahrscheinlich um die 30.
Schwangerschaftswoche sterben würde. Als wir in der 30. Woche zu
unserem Gynäkologen gingen, war ihr Herzschlag immer noch gut
hörbar und wir dachten, dass sie es vielleicht bis zur Geburt
schaffen würde.
Zwei Wochen später begann mein Magen zu schmerzen. Ich dachte nicht an Wehen, denn die Schmerzen
waren konstant. Unser Arzt sagte uns, wir sollten ins Krankenhaus
gehen, um zu sehen, was los sei. Als wir in der Klinik ankamen,
realisierte ich, dass es Wehen waren, denn sie kamen und gingen in
regelmässigen Abständen. Die Krankenschwester installierte
das Wehenmessgerät und stellte starke Wehen fest. Sie bereitete
alles für die Geburt vor. Wir waren völlig unvorbereitet
auf all das. Der Perinatologe hatte uns vorgeschlagen, unsere Tochter
komfortabel zu halten, aber wir hatten keine Ahnung, was das
bedeutete. Wollten wir, dass unsere Tochter reanimiert wurde, falls
sie nicht atmete? Wollten wir Sauerstoffapparate, um ihr beim Atmen
zu helfen? Wollten wir sie bei uns im Zimmer behalten oder ins
Säuglingszimmer geben? Wir hatten dann die Chance ein bisschen
mehr Zeit zu gewinnen. Während die Wehen stark und regelmässig
waren, öffnete sich aber der Muttermund nicht, so dass unser
Baby diese Nacht nicht auf die Welt kam. Am nächsten Morgen
sagte uns der Arzt, wir hätten drei Möglichkeiten: die
Geburt mit Medikamenten einzuleiten, die Wehen medikamentös zum
Stoppen zu bringen oder nichts zu unternehmen. Rob und ich hatten von
Anfang an das Gefühl, dass Gott wusste, zu welchem Zeitpunkt er
unsere Tochter zu sich nehmen wollte. So entschlossen wir uns, nichts
zu unternehmen. Der Arzt wusste auch nicht, wie es nun weitergehen
sollte, denn im Normalfall wird entweder die Geburt eingeleitet oder
die Wehen gestoppt. Er hatte noch nie einen Fall wie unseren, wo die
Eltern entschieden, der Natur (oder Gott) freien Lauf zu lassen. Sie
überwachten weiter die Wehen, aber mein Muttermund öffnete
sich immer noch nicht, so schickte mich der Arzt die nächste
Nacht nach Hause. Der Arzt riet mir, so oft aufzustehen wie möglich.
Nach einer Woche wurden die Wehen schwächer und unregelmässiger.
Diese plötzliche "Trockenübung" machte uns klar, wie
unvorbereitet wir waren auf die Geburt unseres Babys. Wir machten
sofort einen Termin ab mit dem Neonatologen, der sich um unsere
Tochter kümmern würde, falls sie lebend geboren würde.
Wir waren sehr beeindruckt von ihm. Er war sehr mitfühlend, aber
auch sehr kompetent. Er war die erste Person, die wir antrafen, die
Erfahrung hatte mit Trisomie 13. Er fragte uns zuerst, ob wir einen
Kinderarzt ausgesucht hätten. Alles, was wir bisher gelesen und
gehört hatten, besagte, dass unsere Tochter nicht lange genug
leben würde, um einen Kinderarzt zu benötigen. Er aber
sagte uns, wir sollten auf die Möglichkeit, so klein sie auch
sei, dass unser Baby länger leben würde, vorbereitet sein.
Es bestände sogar die Hoffnung, unser Baby nach Hause zu nehmen.
Auch ihre Herzfehler oder die Omphalocele dürfte uns nicht davon
abhalten, sie nach Hause zu nehmen. Er wollte nicht, dass wir all
unsere Hoffnung aufgaben, aber gleichzeitig erzählte er uns von
Eltern, die sich in der gleichen Situation befanden und völlig
unvorbereitet gewesen seien, als sie ihr Baby trotzdem nach Hause
nehmen konnten. Meine Gedanken begannen zu kreisen; was, wenn wir
unser Baby nach Hause bringen würden? Es würde spezielle
Pflege benötigen; würden wir für sie sorgen können?
Der Neonatologe versicherte uns aber, dass er unsere Tochter nicht
entlassen würde, bis er sicher sei, dass wir uns richtig um sie
kümmern konnten. Ich fragte ihn, ob ich ein Kinderzimmer
vorbereiten solle. Er meinte, ich sollte noch abwarten, da sie
mindestens die ersten zwei Wochen in der Klinik bleiben würde,
so dass ich noch genügend Zeit hätte mit Vorbereiten. Rob
fragte dann, wie lange die Lebenserwartung für unsere Tochter
sei. Er meinte es käme darauf an, wie schwerwiegend ihre
Geburtsfehler sein würden, aber das älteste Trisomie
13-Baby, das er kannte, sei 6 Monate alt geworden.
Wir besprachen dann die Pflege, die wir unserer Tochter zuteil lassen
kommen wollten. Wir erklärten ihm, dass das Wichtigste für
uns sei, dass sie am wenigsten leiden müsse. Wir wollten ihr
Leben nicht aus egoistischen Gründen verlängern, nur um sie
länger bei uns zu haben. Er verstand dies und versicherte uns,
alles zu tun, damit sich das Baby so wohl wie möglich fühlte.
Er schlug vor, sie intravenös zu ernähren (Kinder, die an
Trisomie 13 leiden, können sich meistens nicht von selbst
ernähren). Es würden ihr auch Antibiotika verabreicht,
falls sie an einer bakteriellen Infektion leiden würde. Er sagte
uns, dass es besser sei, das Baby nicht zu operieren, da eine
Operation sehr schmerzvoll sei und sie sogar töten könne.
Wir sollen das Baby nicht reanimieren, wenn es nicht mehr atmen
sollte, da man ihr in diesem Fall auf die Brust drücken würde,
was natürlich mir Schmerzen verbunden wäre. Er teilte uns
auch mit, dass die die Atmung unterstützenden Sauerstoffkanülen
sehr schmerzvoll für Babies seien. Jetzt hatten wir wenigstens
einen Plan, wie unserem Baby geholfen werden würde, falls es
lebend auf die Welt kommen würde. Es war sehr tröstend zu
wissen, dass bei der Geburt ein Arzt anwesend sein würde, der
sehr kompetent war und unsere Wünsche verstand.
Auf dem Heimweg nach unserem Termin mit dem Neonatologen, dachte ich an die
Möglichkeit unser Baby nach Hause zu bringen. Das brachte mich
in Panik. Was, wenn ich sie nicht richtig pflegen konnte? Aber dann
überkam mich eine innere Ruhe, als ich realisierte, dass Gott
uns auch in dieser neuen Situation beistehen würde. Auch über
das Kinderzimmer brauchte ich mir keine Sorgen zu machen, denn
Freunde von uns schlugen uns vor, bei Bedarf alles einzurichten. Wir
wollten die Hoffnung über diese Eventualität nicht
aufgeben. Wir wollten uns nicht zu sehr freuen, konnten aber eine
gewisse Aufregung nicht unterdrücken.
Währenddem wir zusammen dieses Thema diskutierten, fragte uns eine Freundin, ob
wir gut versichert seien. Ich wusste woraus sie hinaus wollte. Falls
unsere Tochter leben würde, würde sie eine Menge ärztlicher
Pflege und Medikamente benötigen was mit grossen Kosten
verbunden sein würde. Wir hatten zwar eine gute Versicherung, es
würde aber trotzdem sehr teuer sein. Rob und ich hatten schon
darüber gesprochen, und wir hatten uns entschieden, Gott zu
vertrauen und eventuell unsere Ersparnisse für unsere Tochter zu
verwenden. Für unsere Tochter zu sorgen war uns weitaus
wichtiger, als ein neues Auto oder sonst etwas zu kaufen.
Es war sehr schwierig mit der Tatsache zu leben, nicht zu wissen wie der
nächste Tag aussehen würde. Würden morgen die Wehen
einsetzen? Würden wir ihren Herzschlag beim nächsten
Arztbesuch noch hören? Würde unser Baby lebend auf die Welt
kommen? Wenn sie lebend geboren würde, wie schwerwiegend würden
ihre Geburtsfehler sein? Würden wir sie nach Hause nehmen
können? Wie lange würde sie leben? In dieser Situation
wurde uns klar, dass wir nichts in den Händen hielten, Gott aber
die Kontrolle über alles hatte. Wir mussten einfach jeden Tag
nehmen wie er kam und Gott vertrauen, dass uns alles zum Besten
dienen würde.
Auch wenn sie lebend geboren werden würde, wussten wir, dass wir auf
ihren Tod vorbereitet sein mussten. Wir fragten Robs Eltern, ob sie
sich um das Begräbnis kümmern könnten, so dass wir uns
nach dem Tod unseres Babys nicht um all das zu sorgen hätten.
Wir kauften drei Grabplätze (einer für unser Baby und einer
für Rob und mich) gerade neben Robs Grosseltern. Ich fragte auch
meine Schwiegermutter und meine Schwägerin, ob sie ein
Beerdigungskleidchen für unser Baby kaufen könnten. Wenn
sie lange genug leben würde, könnten wir es auch als
Taufkleid benutzen. Ich wollte, dass sie etwas Nettes tragen durfte
zu ihrer Beerdigung, aber es war zu hart für mich, das alleine
zu erledigen. Ich wollte, dass es jemand tat, der sie liebte.
Nach 36 Schwangerschaftswochen sagte unser Gynäkologe, wir würden
es zu seiner grossen Ueberraschung bis zum Termin schaffen. Alles
schien glatt zu verlaufen. Mein Muttermund hatte sich immer noch
nicht geöffnet. Wir diskutierten sogar über die
Eventualität, dass ich übertragen könnte. Die nächste
Woche bemerkte ich, dass ich mein Baby gar nicht gespürt hatte.
Ich sagte mir, dass dies normal sei, denn ich hatte gehört, dass
Babies in den letzten Schwangerschaftswochen wenig Platz zum Bewegen
hatten. Als wir in der 37. Woche zum Arzt gingen, konnten wir den
Herzschlag nicht finden. Er machte einen Ultraschall, der bestätigte,
dass ihr Herz aufgehört hatte zu schlagen. Während 20
Wochen waren wir auf diesen Moment vorbereitet und jetzt war es
geschehen. Der Arzt sagte uns, dass wir ins Krankenhaus gehen
mussten, um die Geburt einzuleiten.
Wir sprachen nicht viel auf dem Heimweg, als wir meine Tasche holen
gingen. Wir waren beide mit unseren eigenen Gefühlen
beschäftigt. Wir waren natürlich sehr traurig, aber
gleichzeitig auch ein bisschen erleichtert, dass unser Baby nicht
leiden musste und wir nun wussten, woran wir waren. Wir mussten uns
nicht länger fragen, was der nächste Tag uns bringen würde.
Wir fühlten uns ein wenig schuldig wegen dieser Erleichterung,
aber welche Eltern wären nicht froh zu wissen, dass ihr Kind
nicht leiden muss? Welche Eltern wollen jedem Atemzug ihres Babys
zuschauen, mit der Angst, es könnte der letzte sein? Es ist
schon schwer genug, wenn man sich über seine Zukunft sorgen
muss, aber noch schwerer zu wissen, dass sein Baby nicht lange leben
wird. Wir hätten alles gegeben, um eine gesunde Tochter zu
haben, aber sie war es nicht. Wir waren dankbar, dass sie wenigstens
nicht leiden musste.
Als wir im Krankenhaus ankamen, begleiteten sie mich in ein Zimmer im
alten Teil der Klinik. Ich fand dies sonderbar, denn sie hatten
gerade eine neue Gebärabteilung eröffnet. Ich fand später
heraus, dass dies absichtlich so geschehen war, um zu verhindern,
dass ich mit Eltern gesunder Neugeborener zusammentraf. Ihr Glück
und die Babyschreie wären zu hart für mich gewesen. Wenn
ich auch nicht recht wusste, was auf mich zukommen würde, hatte
ich keine Angst vor der Geburt. Gott hatte mich bis hierher geführt,
er würde mir auch bei der Geburt zur Seite stehen. Um 17 Uhr
begann die Krankenschwester via Infusion die Geburt einzuleiten. Der
Arzt sagte uns, es könne sehr lange dauern (manchmal bis zu 3
Tagen bei Erstgebärenden). Als der Arzt mich um 18 Uhr
untersuchte, teilte er uns mit, dass ich wahrscheinlich um 10 Uhr
morgens gebären würde, da mein Muttermund schon teilweise
geöffnet sei. Robs Familie und mein Bruder kamen zu uns ins
Krankenhaus, um uns zu unterstützen und uns zu helfen, die Zeit
zu verbringen. Der Arzt untersuchte mich wieder um Mitternacht und
sagte, es würde schneller vorangehen, als vorgesehen und dass
ich sehr wahrscheinlich um 2 Uhr morgens gebären würde.
Unsere Tochter, Victoria Lynn, wurde um 2 Uhr 20 am 23. Juli 1999
geboren.
Die Krankenschwester wickelte Victoria in ein Tuch und gab sie mir. Sie
war so wunderhübsch. Sie glich Rob sehr. Sie hatte schwarze
Haare, Robs kleine Nase und sein Kinn. Wir hatten gelesen, dass
Trisomie 13-Baby‘s verschiedene Fehlbildungen haben können:
Lippenspalte, extra Finger und Zehen, übergrosse Ohren und
andere Defekte. Aber unser Baby hatte keines von diesen Problemen.
Gott hatte sie geküsst. Sie glich einem normalen, gesunden
Säugling.
Wir schätzten die Sensibilität und das
Mitgefühl des Arztes. Er sagte uns, wie hübsch unsere
Tochter sei und streichelte sie. Als er zu unserer Familie ging, um
ihnen mittzuteilen, dass alles in Ordnung sei, sagte mir meine
Schwägerin, er hätte Tränen in den Augen gehabt. Das
hat mich sehr berührt. Dieser Arzt, der in seinen 70ern war und
Tausende von Babies auf die Welt gebracht hatte, war hier und weinte
über unsere Tochter. Er ist ein wahrer, besorgter Arzt, der das
Menschliche in seinem Beruf nicht vergessen hat.
Unsere Krankenschwester war sehr feinfühlig uns gegenüber. Sie
behandelte unser Baby wie ein gesundes Kind; nicht wie ein totes
Baby, das nicht zählte. Sie sagte uns auch, wie schön
Victoria sei. Wir mussten Babykleidchen für Victoria aussuchen,
die sie ihr dann anzog. Die Krankenschwester gab uns auch eine Locke
von Victorias Haaren und machte Fuss- und Handabdrücke für
uns.
Sie sagte uns, wir könnten Victoria so lange wir es wünschten,
bei uns behalten. Es half uns sehr, sie in unseren Armen halten zu
können und Zeit mit ihr zu verbringen. Wir behielten sie bei uns
während meiner ganzen Aufenthaltszeit in der Klinik. Sie schaute
so friedvoll aus - als ob sie schlafen würde. Wir wussten, dass
ihr Tod, als sie noch im Mutterleib war, das Beste für sie
gewesen war. Obwohl wir sie natürlich gerne lebend in unseren
Armen getragen hätten, war es uns klar, dass sie gelitten hätte
und jeder Atemzug ein Kampf gewesen wäre. Wir realisierten, dass
es hart war, ein totgeborenes Baby zu haben, aber es wäre für
uns noch schwieriger gewesen, zusehen zu müssen, wie sie starb.
Nochmals zeigte uns Gott, dass sein Plan für uns weit besser
war, als unserer.
Wir machten viele Fotos von unserer
wertvollen Tochter. Es mag sonderbar klingen, Fotos von einem toten
Säugling aufzunehmen, aber es war die einzige Möglichkeit,
ein "handfestes" Andenken an sie zu haben.
Als der Arzt
am nächsten Morgen vorbeikam, meinte er, ich könne nach
Hause gehen, wann immer ich wolle. Wir dachten, dass es für uns
gefühlsmässig leichter sein würde nach Hause zu gehen,
als in der Klinik zu bleiben. Wir waren völlig erschöpft
und brauchten dringend Schlaf. Während der nächsten Tage
verbrachten wir viel Zeit, um zusammen zu weinen und einander in den
Armen zu halten.
Die Beerdigung fand 3 Tage später statt. Der Priester, der uns 7
Jahren zuvor verheiratet hatte, leitete nun die Beerdigungszeremonie
unserer Tochter. Wir wollten nur den engsten Familienkreis dabei
haben. Es war uns nicht möglich, einer grossen Menschenmenge zu
begegnen. Victoria wurde in dem wunderschönen Kleidchen
beerdigt, das meine Schwägerin und Schwiegermutter für sie
ausgesucht hatten. An der Grabstätte liessen wir einen rosa
Luftballon los. Wie der Luftballon, liessen wir Victoria in den
Himmel gehen. Victoria zu begraben, war das Schwierigste, was Rob und
ich je erlebt haben.
Wir hätten uns gewünscht, Victoria sei gesund. Aber auch wenn
ihr Ende nicht das war, was wir uns gewünscht hatten, hat Gott
uns trotzdem durch die ganze Schwangerschaft geleitet. Gott gab uns
die Kraft dieses ganze Erlebnis durchzustehen. Er hat uns auch
wunderbare, mitfühlende Ärzte
geschenkt. Wir waren informiert über den Zustand unserer
Tochter, so dass wir uns auf ihren Tod vorbereiten konnten. Gott gab
uns Freunde und unsere Familie, die uns zur Seite gestanden sind. Ich
hatte eine leichte Geburt. Und das Wichtigste: wir mussten unsere
Tochter nicht leiden und sterben sehen. Gott nahm sie zurück zu
sich, bevor sie leiden musste.
Wieso geschah das alles? Wir wissen die Antwort auf diese Frage nicht, aber
wir wissen, dass es Gottes Plan war. Als menschliche Wesen verstehen
wir Gottes Wege nicht immer, aber wir können ihm vertrauen, dass
er das Beste für uns will. Wir messen uns nicht an, zu sagen,
wir verständen alle Ziele Gottes, aber wir haben auch
verschiedene gute Tatsachen beobachtet während dieser ganzen
Prüfung. Es hat unsere Persönlichkeiten und Charaktere
gestärkt und unsere Ehe und unseren Glauben vertieft. Es hat uns
auch unserer Familie näher gebracht. Wir wissen auch, dass viele
Menschen durch Victorias kurzes Leben berührt worden sind. Wir
denken, dass sie auch in den kommenden Jahren noch viele
Menschenleben berühren wird.
6 Jahre nach dem Tod unserer Tochter, trauern wir noch immer über
den Verlust. Die Zeit wird den Schmerz verringern. Und, wenn es
Gottes Wille ist, werden wir andere Kinder haben (eigene oder
adoptierte). Aber wir werden unseren wertvollen Engel, Victoria, nie
vergessen. Im Gegenteil, zu dem, was uns der Perinatologe
vorausgesagt hatte, war es keine Last gewesen, Victoria auszutragen -
es war ein Vorrecht. Wir wissen, dass unsere Tochter nun im Himmel
ist und Gott und meine Mutter über sie wachen, bis wir ihr dort
wieder begegnen werden.
Letzte Aktualisierung dieser Seite: 03.03.2020