Annalise
14.8.1998
Als mein siebtes Kind bei einem Routineultraschall bei 18 Wochen und 2 Tagen mit Anenzephalie, Spina
bifida und Meningomyelocele diagnostiziert wurde, standen mein Mann und ich völlig unter Schock. Nach
sechs gesunden Kindern, drei Mädchen und drei Jungen, mit Geburtsgewichten zwischen 3600g und 4700g,
war das das Letzte, was wir erwarteten. Wir hatten es als selbstverständlich angenommen, dass dieses
Baby genauso gesund wie die anderen sechs zur Welt kommen würde.
Da ich schon 41 Jahre alt bin, war meine einzige Sorge, dass das Baby das Down Syndrom haben könnte,
doch nicht so eine unheilbare Diagnose. Nachdem ich mich einigermassen vom Schock erholt hatte, dass
mein Baby sterben würde, fragte ich den Radiologen, ob er mir das Geschlecht des Babys angeben könne.
Da er annahm, ich würde die Schwangerschaft sowieso unterbrechen, sagte er: "Das ist nicht besonders wichtig".
Ich fühlte mich zu verwundbar nachdem man mir eben erst gesagt hatte, mein Baby würde sterben, so
stand ich nicht für meine Rechte ein. Doch da ich eine Abtreibung niemals in Betracht gezogen hatte,
war es für mich wichtig.
Kurz vor der 22. Schwangerschaftswoche fand ich einen Frauenarzt, der sich während dem Rest der
Schwangerschaft um mich kümmerte. Bei einem Utraschall eröffnete er uns, dass er fast sicher sei,
dass wir ein Mädchen erwarteten. Von dieser Nacht an, bekam sie den Namen Annalise Maria Therese.
Bis zur 23. Woche konnte ich ihre Bewegungen nicht fühlen. Das war besonders hart, da ich wusste,
dass sie sterben würde. Ich hatte ich das Gefühl, schon ein totes Baby in meinem Bauch zu tragen.
Als ich sie endlich das erste Mal fühlte, war es wie ein Wunder. Ich liebte jede einzelne ihrer Bewegungen,
sie waren allerdings nie so intensiv, wie bei ihren älteren Geschwistern. So hatte ich keine Zweifel
über die Diagnose der ärzte. Mein Frauenarzt meinte, er sei zu 99% sicher, dass sie tot geboren werden
würde, und dass ich eine 60/40 Chance hätte den Geburtstermin zu überschreiten.
Unsere Familie war sehr offen gegenüber dem, was während meiner Schwangerschaft geschah, so war
niemand überrascht als sie starb. Wir bekamen sehr viel Gebetsunterstützung von unseren Freunden,
Verwandten und unserer Kirche. Das gab uns viel Kraft. Nur wenige Menschen fanden es schwierig zu
verstehen, dass ich diese Schwangerschaft weiterführen wollte. Da ich wusste, dass Gott mir Annalise
so oder so wegnehmen würde, wollte ich keinen einzigen Tag missen, den er mir mit ihr geben würde.
Jeden Tag, den ich sie länger in mir trug, brachte ihren Tod einen Tag näher. Das war wohl das Schlimmste
während dieser Zeit. Ich konnte nichts mehr machen, als ihr das Leben zu geben, wenn Gott es erlaubte.
Ich nahm sehr viel zu, doch es war fast alles nur Fruchtwasser. Beim letzten Arztbesuch bevor ihrem
Tod war ich in der 27. Woche, der Uterus hatte jedoch schon die Grösse für die 34. Woche erreicht.
Das Problem des Hydraminion (zu grosse Produktion von Fruchtwasser) hatte ohne Zweifel begonnen.
Das Internet half mir sehr viel in dieser Zeit. Berichte von anderen Eltern zu lesen, die dasselbe
wie ich durchgemacht hatten, liessen mich mich weniger alleine fühlen. Die Photos von Babies mit
Anenzephalie bereiteten mich auf das Schlimmste vor, so war ich nicht schockiert, sondern nur traurig
als ich Annalise schliesslich hatte. Dies ist der einzige Grund, weswegen ich hier schreibe; ich hoffe
es wird eine Hilfe für andere Eltern sein.
Im Voraus zu wissen, dass mein Baby sterben würde, gab mir die Zeit, mich psychologisch und praktisch
darauf vorzubereiten. Ich konnte Kontakt mit Bestattungsunternehmen aufnehmen, den Grabstein auswählen,
etc. So musste ich dies nicht nach der Geburt machen, als ich am verwundbarsten war.
Annalise starb in utero in der 27. Woche und 3 Tagen. Nachdem ich sie über einen Tag nicht gespürt hatte,
ging ich zu meinem Arzt für einen Untersuch. Er bestätigte mir, was ich in meinem Herzen schon wusste.
Als er mich fragte, was ich nun tun wolle, sagte ich, ich wolle noch einen Ultraschall machen, um eine
100% ige Bestätigung zu bekommen, und um zu sehen, in welcher Position sie lag. Sie lag quer. Danach
wollte ich die Geburt einleiten, damit Annalise geboren würde, bevor der Verwesungsprozess begann.
Wir wollten sie als unsere kleine Tochter, und nicht als "Abfall" zur Welt bringen.
So gingen wir vor. Am 13. August um 16.30 Uhr wurde die erste Dosis Gel aufgetragen, die zweite um 5
Uhr morgens am 14. August. Annalise wurde um 6.50 Uhr geboren. Während der Geburt hatte sie sich gedreht,
und kam mit dem Kopf zuerst zur Welt. Sie wog 560g und war 25,5 cm lang.
Ich war sehr glücklich, dass ich weder Nachwehen noch den Milcheinschuss hatte. Die anderen Male musste
ich jeweils Ponstan und Panadol gegen die Schmerzen nehmen, und ich hatte alle meine Kinder gestillt,
eines sogar sieben Monate lang.
Sechs Stunden nach der Entbindung nahmen wir Annalise mit uns nach Hause. Alles verlief sehr gut für
meine anderen Kinder die zwischen 18 Jahren und 22 Monate alt waren. Für mich war das die natürliche
Fortsetzung, nachdem ich Annalise sechseinhalb Monate in mir getragen hatte. Sie war unser Baby und wir
liebten sie, weshalb hätten wir sie im Krankenhaus oder in einer Leichenschauhalle lassen sollen bis zu ihrer Beerdigung ?
Meine Kinder und alle Besucher durften sie immer sehen, doch niemand wurde gezwungen, sie anzuschauen.
Sie war kein Monster, das man hätte verstecken müssen. In ihrem kleinen Kleidchen und der Mütze sah sie
aus wie ein frühgeborenes Baby, mit ihren winzigen Fingern und Zehen und den kleinen Finger- und Zehennägeln.
Unsere Kinder hatten nie Angst vor ihr, sie gingen oft zu ihr, um sie zu streicheln und zu küssen. Wir
machten jede Menge Fotos und Videos, die wir ewig hüten werden. Alle lachen darauf. Wir wollten fröhliche
Erinnerungen, keine traurigen. Wir trugen sie nicht viel herum, doch nur weil die Körperflüssigkeit dann
entwich, wegen der Spina bifida.
Drei Tage nach ihrem Tod fand die Abdankung in der katholischen Kirche statt. Ueber 100 Freunde und Verwandte
nahmen daran teil. Sie wurde auf einem Friedhof begraben neben vielen anderen Babies. Dort können wir
Windmühlen und kleine Spielsachen hinlegen, auf ihrem kleinen Grab sieht das sehr schön aus.
Dank meines starken Glaubens bin ich sicher, dass ich Annalise nach meinem Tod wieder sehen werde.
Dass sie nach der Wiederaufstehung einen perfekten Körper haben wird, sie war so rein und unschuldig.
Ich denke, mein Glauben half mir ihren Tod besser zu überwinden.
Mein Mann und meine Kinder unterstützten mich in meiner Entscheidung, die Schwangerschaft weiterzuführen,
nachdem wir von ihrer Missbildung erfuhren. Ich stellte das niemals in Frage. Eine Abtreibung wäre auch
ein schlimmes Beispiel für meine Kinder gewesen - es hätte bedeutet, dass wenn mit einem von ihnen
etwas nicht in Ordnung gewesen wäre, ich sie auch abgetrieben hätte.
Jeder ist traurig, wenn er ein Baby verliert, doch wenigsten hatte ich mir nichts vorzuwerfen, ich hatte
nichts zu ihrem Tod beigetragen. Ich rauchte nicht, trank nicht, nahm keinerlei Medikamente, ich tat
nichts, was ihr hätte weh tun können. Wie mein Frauenarzt sagte, es war Gottes Tun.
Auch wenn wir sie verloren haben, so sagen wir alle, dass wir Annalise lieber geliebt und gehalten haben,
als dass wir sie niemals gezeugt hätten.
Jedes Leben kommt von Gott, und er nimmt es zurück, wenn die Zeit dazu kommt. Er wusste, dass meine
Zeit mit Annalise 27 Wochen und 5 Tage war. Mein Glauben ist gewachsen durch diese Erfahrung, ich danke
Gott für die Gelegenheit, die kleine Annalise in mir getragen und geboren zu haben, unser kleiner Engel im Himmel.
Sue Mansfield
Letzte Aktualisierung dieser Seite: 20.02.2019