Anna Strauß
geboren in der 31. SSW am 2. September 2011
Es war am Gründonnerstag 2011 (21.04.). Am Morgen sind wir noch
ganz aufgeregt, wie das Kind jetzt wohl ausschaut, ob man jetzt schon
richtig was sehen kann. Ich war in der 12. SSW. Ein bisschen war die
Sorge da, dass das Kind gestorben war und ich auch eine Fehlgeburt
haben werde. Danach durften es alle wissen, dass wir ein Baby
kriegen.
Als die Frauenärztin mit dem Ultraschallgerät
schaute, war ich total erleichtert, dass das Herz schlägt und
das Kind lebt. Man hat ein Füßchen gesehen, das richtig
aussah, wie ein großer Fuß und ich war einfach glücklich.
Die Frauenärztin hat eine Weile geschallt und nichts gesagt.
Dann hat sie ein Bild gemacht und gesagt, ich kann mich wieder
anziehen. Am Schreibtisch hat sie gesagt, dass sie nicht sicher sei,
weil der Kopf etwas komisch aussieht. Er müsste eigentlich rund
sein, aber auf dem Bild sieht es so aus, als ob das Kind einen
Lockenkopf hat. Wir sollen noch mal zu einem Pränatalzentrum,
weil die dort bessere Geräte haben, aber es würde schon
nichts sein. Sie telefonierte mit dem Zentrum und machte einen Termin
für 14.00 Uhr aus und gab uns eine Überweisung auf der
Exencephalus? stand. Dann sind wir gegangen.
Als wir draußen
waren, habe ich angefangen zu weinen. Die Gedanken sind Achterbahn
gefahren. Ich bin ja nicht dumm, hab ich gedacht. Wenn das Kind
keinen ganzen Kopf hat, dann stirbt es ja. Man kann doch so nicht
leben. Lennart, mein Mann, hat versucht mich zu beruhigen und gesagt,
bevor wir nichts wissen, machen wir uns nicht verrückt. Meine
Schwiegereltern waren gerade da. Aber ich bin ihnen aus dem Weg
gegangen und wollte nicht reden, Lennart hat auch nichts gesagt.
Irgendwie war alles so unsicher. Ich hab am Computer geschaut, was
Exencephalus heißt, aber so richtig habe ich nichts gefunden.
Ich habe bei Wikipedia gesehen, wie so ein Fötus aussieht und
habe einfach nur noch geheult. Es gab irgendwo einen Bericht von
einer Hebamme, die eine solche Schwangerschaft begleitet hat und
daher wusste ich, dass man so ein Kind auch austragen kann.
Am Nachmittag sind wir nach Pasing zum Pränatalzentrum gefahren.
Dort musste ich mich auch heulen. Die Frauenärztin dort hat
verschiedene Sachen abgefragt, was so an Krankheiten in der
Verwandtschaft vorgekommen sind usw. Ich bin immer unruhiger
geworden. In dem Raum, wo der Ultraschall war, schaute sie sich das
mitgelieferte Bild an und sagte: „Da gibt es eigentlich keinen
Zweifel. Aber wir schauen noch mal nach.“ Beim 3D Ultraschall
sah es so aus, als ob das Baby einen Hut aufhat. Und sie hat gesagt,
dass das Gehirn sei, was offen im Fruchtwasser liege und dass das
Baby auf jeden Fall Anenzephalie habe und nicht lebensfähig sei.
Arme und Beine, sogar das Gesicht, alles war perfekt. Das Herz hat
geschlagen und doch sollte es nicht leben dürfen.
Als wir wieder vor ihrem Schreibtisch saßen, sagte die Ärztin,
dass es das Beste sei, wenn wir das Kind abtreiben würden. Wir
sollten uns schnell dafür entscheiden, weil es dann noch
unkompliziert gehen würde. Ich hab einfach nur geweint. Sie
meinte noch, am liebsten würde man sich nach so einer Diagnose
unter der Bettdecke verkriechen und nichts mehr sehen und hören
wollen. Das ging nicht, weil wir gesagt haben, dass wir Leiter auf
einer Jugendfreizeit über Ostern sein werden. Sie hat uns ganz
verdutzt angeschaut. Als ich sie fragte, ob man das Kind auch
austragen könne, war ihr Kommentar: „Wenn sie aus
religiösen Gründen nicht anders können, geht das
schon, aber es ist mit einer hohen Gefahr für sie verbunden.“
Als wir aus der Praxis sind, waren gefühlt überall Kinder
und ich musste immerzu weinen. Trotzdem war tiefer Frieden da und ich
hab Jesus so doll gespürt, wie nie zuvor und nach der
Schwangerschaft auch nicht mehr. Er hat uns einfach getragen und
trotzdem gab und gibt es Momente, wo ich tieftraurig war und nicht
mehr wollte.
Wir sind dann mit anderen nach Berchtesgaden auf die Osterfreizeit und
Ostertagung vom CVJM gefahren. Es hat einfach gut getan in
Gemeinschaft zu sein und es nicht allein tragen zu müssen. Ich
habe mir ein paar Gründe überlegt, warum ich das Baby
behalten möchte, und durch Gesprächen auf der Ostertagung
sind noch welche dazu gekommen:
1. Wenn wir es austragen, können wir dem Baby einen Namen geben.
2. Wir haben ein halbes Jahr zu trauern und können es im Arm halten.
3. Wir wissen, wie es aussah und müssen uns nicht fragen, ob es wirklich so krank gewesen wäre.
4. Wir können seinen Geschwistern sagen, du hast eine große Schwester im Himmel.
5. Unser Baby hat sich so bewegt und war so lebendig, dass ich es nicht übers Herz gebracht hätte sein Leben zu beenden.
6. Um Leid kommt man nicht herum, es ist auch nicht per se etwas Schlechtes, sondern es prägt das Leben.
7. Unser Pfarrer hat gesagt: Wenn ihr abtreibt, stirbt es an eurem Willen und nicht an Gottes Willen.
8. Eine Freundin hat von Freunden erzählt, die auch die Diagnose nicht
lebensfähig für ihr Baby bekommen haben und denen gesagt
wurde, dass sie abtreiben sollen. Die aber antworteten: „Jetzt
ist die Zeit mit unserem Kind, und die wenige Zeit, die wir mit ihm
haben, wollen wir genießen.“
Vor allem der letzte Grund war für mich echt ein Vorbild, weil ich
gedacht habe, ich müsse ein halbes Jahr traurig sind, weil das
Kind sterben wird.
Immer wieder musste ich an das Lied denken, was ich als erstes auf Trompete
spielen konnte:
Bleib
bei mir Herr, der Abend bricht herein. Es kommt die Nacht, die
Finsternis fällt ein. Wo fänd ich Trost, wärst du mein
Gott nicht hier. Hilf dem der hilflos ist. Herr, bleib bei mir.
Wo fänd ich Trost, war und ist mir wirklich eine Frage, wenn Gott
nicht wäre. Auf der Ostertagung beteten wir für unser Kind
und ich wünsche mir, dass Jesus es gesund macht. In der Nacht
träume ich, dass wir beim nächsten Ultraschall sind und das
Baby hat einen gesunden Kopf hat.
Als wir am Dienstag noch mal beim Ultraschall sind, ist der Kopf immer
noch kaputt. Wir sagen der Ärztin, dass wir das Kind behalten
möchten und es ist für sie okay. Sie werden die
Schwangerschaft so normal wie möglich begleiten.
Mitte Mai habe ich einen richtigen Schmerzflash. Ich weiß nicht, wie
ich es aushalten soll mein Kindlein herzugeben und es tut einfach so
weh. Mit einer Bekannten aus dem CV bete ich und es kommt wieder
Frieden in mein Herz. Ich muss an Johannes 9 denken. Da geht es um
die Heilung eines Blindgeborenen und die Frage, wer gesündigt
hat, dass der Mann blind ist. Jesus antwortet: „Weder er noch
seine Eltern, sondern es soll die Herrlichkeit Gottes an ihm offenbar
werden.“ Ich habe gemerkt, dass die Herrlichkeit Gottes an uns
offenbar wird und wir Zeugen sind für andere. Das wollte ich
immer sein, aber leidlos.
Ein Wochenende später spüre ich sie das erste Mal ganz leicht.
Ich bin total fasziniert von dem Trippeln, dass ich von innen in
meinem Bauch spüre und ich genieße es. Es wird immer
toller und es ist so schön sie zu spüren. Immer, wenn
Ultraschall ist, sehe ich sie in meinem Bauch toben. Es ist so schön
zu wissen, dass es ihr noch gut geht. Bei einem Ultraschall machen
wir ein Video, wie sie sich bewegt. Die Frauenärztin zeigt, wie
alles dran ist. Alles stimmt. Nur nicht der Kopf.
Wir haben uns so gefreut, wenn wir ihre Bewegungen gespürt haben.
Mittlerweile war der Bauch so dick, dass alle es gesehen haben. Auf dem Markt und
im Blumenladen wurde ich gefragt, wann es denn so weit sei. Im
November habe ich mit tapferem Lächeln gesagt. Selten habe ich
gesagt, dass das Baby nicht lebensfähig sein wird.
In der Schwangerschaft und nach dem Lesen von vielen Berichten hier auf
der Seite habe ich mir gewünscht, dass ich die Anna -so haben
wir sie genannt, als wir wussten, dass es ein Mädchen wird-dass
sie noch lebt, wenn sie auf die Welt kommt und wir ein paar Stunden
mit ihr haben können. Ende Juli war ich soweit zu sagen. Es ist
okay, wenn sie in meinem Bauch stirbt oder tot zur Welt kommt. Mitte
August war es ziemlich heiß und mir ging es körperlich
nicht so gut. Da habe ich innerlich gesagt. Sie darf jetzt sterben.
Am Samstag 27.August habe ich immer wieder meine Hände auf den
Bauch gelegt, aber sie hat nicht drauf geantwortet, in dem sie
dagegen getreten hat. Ich habe gehofft, dass sie nur müde ist
und am nächsten Tag noch mal toben wird. Aber auch am nächsten
Tag hat sie sich auch nicht bewegt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass
sie tot ist. Weil Sonntag ist, wollte ich nicht in die Klinik. Wir
sind noch mal an die Isar gefahren und haben Fotos gemacht. Immer
wieder sind mir die Tränen gekommen. Im Gottesdienst abends
haben wir die Mutter von meiner besten Freundin gefragt, ob sie mit
mir morgen zum Frauenarzt geht, weil wir glauben, dass das Kind tot
ist und Lennart arbeiten musste.
Am nächsten Morgen habe ich kurz mit Lennart telefoniert und habe
voll das heulen angefangen. Er hat sich dann auf den Weg nach Hause
gemacht. Der Arzt hat noch mal bestätigt, was wir schon wussten
und hat ein richtig schönes Foto von ihr gemacht. Auf der Liege
ist mir voll heiß und schlecht geworden. Zum ersten Mal war mir
richtig klar, dass unser Kind tot ist.
Ich bin dann mit zum Elternhaus meiner Freundin und die Eltern haben ganz
einfach und schlicht gebetet und es war so gut, dass Gott in allem da
war. Ich habe in der Klinik angerufen und die haben gesagt, wir
können Nachmittag kommen.
Im Krankenhaus wurde noch mal
nachgeschaut, ob es wirklich tot ist und richtig liegt. Dann wurde
die Geburt eingeleitet. Aber weil mein Körper noch nicht bereit
war, wurde mir gesagt, dass es länger dauern könnte. Es war
eine komische Zeit. Sie dauerte 4 Tage bis Donnerstagabend gegen 6
Uhr die Wehen endlich einsetzten. Wir hatten viel Besuch von Freunden
und konnten auch noch lachen. Um 10 Uhr habe ich gesagt, ich will
eine PDA. Dann waren die Schmerzen weg und wir konnten noch mal bis
um 12 schlafen. Um kurz zwei kam die Anna mit 950g und 31 cm auf die
Welt. Die Hebamme hat sie in ein Tuch gewickelt und ihr ein Mützchen
aufgesetzt, weil wir sie drum gebeten haben. Dann hat sie das Kind
Lennart in die Arme gegeben. Es war so unglaublich friedlich in dem
Kreissaal. Ein bisschen, als wären wir von vielen Engeln
umgeben. Ich war so glücklich, weil ich sie auf die Welt
gebracht habe. Wir haben sie bewundert. Trotz allen war sie
wunderschön. Sie selber sah auch aus, als würde sie ein
bisschen lächeln.
Man musste vorsichtig mit ihr sein, weil die
Haut schon leicht abging, nachdem sie eine Weile tot im Fruchtwasser
war. Die Hebamme hat sie dann liebevoll angezogen und zwei Rosen von
dem Strauß abgeschnitten, den ich bekommen hatte und zu ihr ins
Körbchen gelegt. Gegen fünf sind wir auf die andere Station
verlegt worden. Anna war noch bei uns. Und wir haben erstmal
geschlafen. Nachdem aufwachen habe ich sie angeschaut und das erste
Mal geweint, seitdem sie auf der Welt war. Lennart hat seinen Papa
angerufen und er kam und auch eine gute Freundin von mir. Ich war so
froh, dass jemand kam und mit uns die Anna gesehen hat und auch bei
mir blieb, weil Lennart nach Hause gefahren ist um zu duschen. Als er
wiederkam haben wir sie noch eine Weile angeschaut und dann in den
Kühlraum bringen lassen. Am Nachmittag kamen die Familie von
meinem Mann und mein Papa und mein Bruder und haben sie begrüßt
und Abschied genommen. Unsere Väter haben einen Sarg für
sie gebaut.
In der Woche nach ihrer Geburt stand ein wunderschöner Bibelvers in
der Losung: „Deine Augen werden den König sehen in seiner
Schönheit.“ Jesaja 33,17. Was für eine Verheißung
und Zuspruch für uns, dass die Anna jetzt schon im Himmel ist
und in schönen Kleidern grüne Wiesen sehen kann und bei
Gott auf dem Schoß sitzen kann.
Am Sonntag wurde ich aus dem Krankenhaus entlassen. Es war ganz komisch
von der Stimmung her. Gefühlt war ich ewig weggewesen. In der
Woche haben wir die Beerdigung vorbereitet. Ich wollte nur, dass
alles vorbei ist und es irgendwie wieder normal wird das Leben.
Außerdem wollte ich meine Ruhe haben, viel Schlafen. Es war
alles so viel. Zur Beerdigung kamen viele von unseren Freunden. Der
Priester hat immer von der lieben kleinen Anna gesprochen, dass sie
jetzt im Himmel ist und ein Fürsprecher für uns ist.
Auch jetzt fast zwei Jahre später, wenn ich es schreibe, kommen mir
die Tränen. Die Gewissheit, dass Anna im Himmel ist, ist
tröstlich, bewahrt nicht vor Trauerflashs, die in den letzten
zwei Jahren immer wieder kamen und vor Fragen, wie sie wohl
ausgesehen und was für einen Charakter sie hätte. Auch
unsere zweite Tochter Isabelle, die ungefähr ein Jahr später
geboren ist, macht sie nicht wett. Sie zeigt nur auf wie kostbar
Leben das Leben ist.
Anna heißt Gott ist gnädig. Es war eine harte Gnade, aber wir
haben erlebt, dass unser Glaube trägt und dass Gott gnädig
ist. Ich hab ihn nie vorher und nie danach so stark gespürt, wie
während der Schwangerschaft mit der Anna. Ich bin dankbar für
die Zeit mit ihr und für das, was sie uns gelehrt hat.
Letzte Aktualisierung dieser Seite: 20.02.2019