Charles
Vor zwölf Jahren hatte ich einen Sohn mit Anenzephalie, Charles.
Die Zeit heilt so manchen Schmerz. Ich habe mich auf Gott gestützt und bekam seinen Trost. Doch wie die
Zeit vergeht, scheint es mir, vergehen auch meine Erinnerungen. Ich sehne mich nach Etwas, an das ich
mich klammern kann, um Charles ganz nahe bei mir zu behalten, um seine Geburt so bedeutungsvoll zu
behalten, wie sie es damals war. (Ich kann nicht wirklich ausdrücken, was ich meine).
Wir hatten damals keine Familie, auf die wir uns hätten stützen können. Sie wohnten so weit weg von
uns. Meine Schwiegermutter ermutigte mich dazu, die Schwangerschaft abzubrechen. Unser Pfarrer und
unsere Kirchgemeinde ermutigten uns zwar, Charles bis zum Geburtstermin auszutragen, wir bekamen
jedoch keine weitere Unterstützung von ihnen.
Wenn ich jetzt all diese Briefe und Berichte durchlese, wie andere Familien das Gleiche erlebt haben,
macht mich das traurig. Ich erkenne, wie wir alles anders hätten machen können.
Ich erfuhr, dass unser Sohn Charles Anenzephalie hatte, als ich im 7. Schwangerschaftsmonat war.
Ein Arzt bedrängte uns, die Schwangerschaft zu unterbrechen. Mein Frauenarzt ermutigte
uns, bis zum Schluss durchzuhalten. Damals schien es eine schwierige Entscheidung, doch wir wussten,
durchzuhalten war die einzig richtige.
Charles lebte nur eine Stunde und zwanzig Minuten. Wir hätten einen Fotoapparat dabei haben sollen,
um Aufnahmen zu machen, doch wir hatten keinen. Nun haben wir nur das medizinische Foto, das nach
seinem Tod von ihm gemacht wurde.
Wir entschieden uns, nur einen Erinnerungsgottesdienst für ihn abzuhalten, da wir Charles Leib
in meine Heimatstadt überführen liessen, um dort beerdigt zu werden. Die ärzte hatten sich gegen
eine 400 km lange Reise ausgesprochen, so kurz nach der Entbindung. Mein Pfarrer unterrichtete uns
nicht darüber, wie ein solcher Erinnerungsgottesdienst abläuft. Es war ganz schön, aber nicht sehr
persönlich.
Ich wünschte, ich hätte Charles länger gehalten. Ich wünschte, ich hätte versucht, ihn zu stillen.
Wahrscheinlich wäre es nicht möglich gewesen, doch wenn ich es probiert hätte? War ich zu eilig,
als ich die Geburt am Termin einleiten liess?
Ich dachte, es würde mir Trost bringen, die Geschichten von anderen Eltern zu lesen, doch nun
denke ich nur daran, was ich hätte machen können, haben können.
Sicher, viele von diesen Gedanken kommen jetzt hoch, da es zu dieser Jahreszeit war, als ich
zum ersten Mal erfuhr, dass mein Sohn in diesem Zustand war.
Gott hat mir mich so viel gelehrt in diesen vergangenen zwölf Jahren. Ich weiss, dass Gott mich
stärker gemacht hat. Jetzt, wo ich einen anderern Sohn mit Gesundheitsproblemen (Herz) habe,
ist es einfacher, seine Krankheit so zu nehmen, wie sie kommt. Dank all den Dingen, die ich von
Charles gelernt habe. Ich durfte lernen, was wichtig ist im Leben. Ich lernte, dass Gott uns
durch Täler und über Berge führt.
Ich bete darum, dass ich meine Selbstvorwürfe hinter mir lassen kann. Und ich denke immer
noch an die Folsäure. (Hätte ich doch... )
Diane Bailey
Aus dem Amerikanischen übersetzt mit Erlaubnis der Anencephaly Support Foundation
Letzte Aktualisierung dieser Seite: 22.02.2019