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Jasmine Faith

 

Jasmine, Baby mit Anenzephalie

12.7.1999

Ich merkte fast sofort, dass ich mit unserem zweiten Kind schwanger war. Ich denke, ich spürte es, als ich schwanger wurde. Ich erzählte es meinem Mann und er sagte: "Schon!". Und mein Verdacht wurde bestätigt. Zu dieser Zeit war unsere Tochter Jordan gerade zwei Jahre alt geworden und ich konnte es nicht erwarten, ihr ein Geschwisterchen zu geben. Ich träumte von einer Tochter, einem anderen kleinen Mädchen zum Grossziehen und Liebhaben. Ich träumte von einem Jungen, einer Miniaturausgabe meines Mannes. Aber egal was, ich wollte ich einfach ein gesundes Baby.

Trotzdem merkte ich gleich von Anfang an, dass in dieser Schwangerschaft etwas anders war. Statt im ersten Schwangerschaftsdrittel zuzunehmen verlor ich an Gewicht. Die Hebamme schien nicht besorgt, so schob ich diese Gedanken weg. Mein Entbindungstermin war der 26. Juni 1999. Wenn ich erst mal das erste Drittel hinter mir haben würde, konnte doch nichts mehr schief gehen, oder? Ich war so naiv.

Der 3. Februar 1999 war der Tag, der mein Leben für immer verändern würde. Ich war in der 19. Schwangerschaftswoche und wir hatten einen Routine–Ultraschalltermin. Rob hatte freigenommen um mich zu begleiten. Auf dem Weg schlossen wir alberne Wetten über das Geschlecht des Kindes ab; ich sagte "Junge" und Rob sagte "Mädchen".

Der Ultraschall begann wie immer. Rob stellte der Technikerin alle möglichen Fragen, ich wollte mir meine aufheben, bis sie durch die "langweiligen" Sachen durch war. Sie zeigte uns die perfekten Hände und Füsse. Das Geschlecht konnte sie nicht herausfinden. Das Gesicht der Technikerin wurde immer angespannter, sie starrte auf den Monitor und machte tonnenweise Bilder. Ich merkte, dass sich sie auf den Kopf konzentrierte, aber das konnte nicht der Kopf sein, das sah nicht richtig aus. "Mach dir keine Gedanken, du kennst dich nicht genug aus", redete ich mir ein.

Dann schickte sie uns in einen anderen Raum, um dort auf die Ärztin zu warten. Ich hatte aber gar keinen Arzttermin an diesem Tag. Die Ärztin betrat den Raum und kam gleich zur Sache: "Ihr Ungeborenes ist nicht lebensfähig. Der Kopf und der Schädel sind nicht richtig ausgebildet. Das Baby wird entweder vor oder kurz nach der Geburt sterben."

Betäubt starrten wir sie an. Ich begann zu weinen, auch Rob liefen Tränen die Wangen herunter. Das konnte doch nicht wahr sein?!
Aber nach einem ganzen Tag weiterer Untersuche stand das Urteil fest.
Unser süsses Baby hatte einen Neuralrohrdefekt namens "Anenzephalie", eine Fehlbildung, bei der sich Gehirn und Schädel nicht oder nicht richtig bilden. Im Fall unseres Babys war nur der Hirnstamm vorhanden.

Die Ärztin informierte uns über unsere Möglichkeiten. Wir konnten die Geburt vorzeitig einleiten lassen, hoffen, dass das Baby lebendig geboren werden würde, und uns verabschieden. Oder wir konnten das Kind bis zum Entbindungstermin austragen, die Geburt einleiten und dann Abschied nehmen. Aus verschiedenen Gründen beginnen bei Frauen, die ein Baby mit Anenzephalie erwarten, die Wehen oft nicht spontan.

Es war der schlimmste Tag unseres Lebens. Wir hatten diese schwerwiegende Entscheidung zu treffen. Wir verbrachten den Abend damit, mit Familie und Freunden zu sprechen und zu weinen. Jeder hatte eine Meinung, aber keiner hatte eine Antwort. Unser Pastor ermutigte uns zu beten und versprach, für uns zu beten, dass Gott uns den richtigen Weg zeigen würde. Mein Mann und ich waren zu müde, um für irgendetwas zu beten, wir schleppten uns nur noch nach oben ins Bett.

Am nächsten Morgen wachte ich früh auf, ging nach unten, warf mich auf die Knie und schrie zu Gott. Ich sagte: "Das ist zu schwer zu tragen, Herr!" Er gab mir zwei Bibelstellen:

Wirf deine Last auf den Herrn. Er wird dich tragen. Er wird niemals erlauben, dass der Gerechte zuschanden wird.

und

Es gibt einen Weg, der dem Menschen recht erscheint, aber das ist der Weg des Todes.

Ich verstand seine Botschaft. Ich legte mein Baby in die Hände des Herrn. Zum ersten Mal, aber sicher nicht zum letzten Mal. Ich legte meine Hand in Gottes Hand und vertraute auf seine tragende Kraft, die jeden Tag für mich ausreichen würde.

Die nächsten 23 Wochen waren sehr schwierig. Die Zeiten, die ich mit dem Herrn verbrachte, waren sehr intensiv. Mein Mann und ich beteten jeden Tag, dass unser Baby geheilt werden würde. Menschen aus unserer Gemeinde, Freunde und Familie im ganzen Land beteten für unser Kind. Wir sind dankbar, dass wir eine sehr ausgewogene Leitung in unserer Gemeinde hatten, die uns fortwährend an Gottes Souveränität in all diesem erinnerte. Das Baby gehört dem Herrn und ich wusste, dass er für unsere Tochter sorgen würde, egal wie es ausgehen würde. Oft fühlte ich mich wie Abraham, der seinen Sohn auf den Altar legte. Ich musste all meine Träume, Wünsche und Erwartungen sterben lassen.

Es gab viele Tage, an denen ich nur beten konnte: "Herr, bring mich einfach nur durch diesen Tag!" Ich fragte mich oft, ob mein Glaube die Belastung aushalten würde, sollte mein Baby sterben.

Die Einleitung der Geburt war für den 6. Juli 1999 geplant. Das war bereits eineinhalb Wochen nach dem Entbindungstermin. Nach fünf Monaten intensiven Gebets für mein Kind glaubte ich wirklich an die Möglichkeit, dass dieses Kind geheilt worden war.

Als der Entbindungstermin kam und verging, bauten sich in mir Anspannung und Furcht auf. Die Wehen traten nicht ein, und die Ärzte vermuteten, dass dies an der Anenzephalie liege. Ich wollte es nicht glauben. Meine Beziehung zum Herrn verschlechterte sich so, dass ich nur einfach noch "Ich danke dir, Herr, dass das Baby geheilt ist" ausrief.

In mir war soviel Angst. Ich wollte mit niemandem reden.
Manchmal sass ich nur einfach da und mir kamen die Tränen.
Ich dankte dem Herrn jeden Tag, dass das Baby noch am Leben und in mir in Sicherheit war.

Die Einleitung der Geburt verlief erfolglos. Nach 24 Stunden hatte sich der Muttermund noch nicht einmal begonnen zu öffnen. Die Ärztin sagte mir, es könne ein dreitägiger Prozess werden. Ich war müde und zerschlagen. Ein weiser Freund wies mich darauf hin, dass ich mit meiner Trauer und Furcht noch nicht fertig geworden wäre und mein Körper noch nicht bereit wäre, das Baby freizugeben. So schleppten wir uns heim mit meinen ganzen aufgestauten Emotionen. Ich beschloss, meinem Körper mehr Zeit zu geben, sich vorzubereiten. Meine Mutter und ältere Schwester sollten am nächsten Tag kommen

Am nächsten Morgen wurde ich dem Herrn gegenüber ehrlich. Ich weinte intensiv und liess meinen Schmerz zu. Ich flehte den Herrn an, mein Baby zu heilen. Ich flehte das Baby an, mich nicht zu verlassen. Ich sagte ihr, wie sehr ich sie liebte und haben wollte. Nach einer Stunde war ich schliesslich am Ende. Ich weinte: "Nicht mein Wille geschehe, sondern Deiner, Herr." Als ich mein Baby dem Herrn übergab, spürte ich erneut, wie er mir half, diese Last zu tragen. Ich musste es nicht mehr aus eigener Kraft tun.

12. Juli 1999, mehr als zwei Wochen nach dem Entbindungstermin. Es war Zeit, einen zweiten Einleitungs-Versuch zu wagen. Die Ärzte und ich fürchteten, dass das Baby bald zu gross werden würde und dass die Plazenta das Baby nicht mehr ausreichend versorgen würde. Ich wollte eine Chance haben, mein Baby lebendig im Arm zu halten. Seit einigen Tagen hatte ich bereits Vorwehen, aber die richtigen Wehen traten nicht ein. Ich hoffte immer noch, dass das Baby geheilt sei, aber jetzt hielt ich durch die Kraft des Herrn, und wusste, egal was komme, er würde mich nicht fallen lassen.

Der Muttermund begann sich etwas zu öffnen, nachdem ich Pitocin bekam, aber alles ging sehr langsam. Dann brach die Ärztin die Fruchtblase und die Herzfrequenz des Babys begann zu sinken. Nachdem wir mehrere Stunden lang am Monitor verfolgt hatten, wie sich die Herzfrequenz des Babys im gefährlich niedrigen Bereich bewegte um sich jeweils langsam zu erholen, schlug die Ärztin vor, die Bildschirme abzuschalten. Sie wollte nicht, dass ich mein Baby sterben sehen könnte. Ein Kaiserschnitt war ihrer Meinung nach unnötige Qual, da das Baby so oder so sterben würde. Sie liess einen Spezialisten und ein Ultraschallgerät holen um sicherzustellen, dass die Diagnose "Anenzephalie" stimmte. Der Kopf des Babys war zu diesem Zeitpunkt tief im Becken; der Spezialist sah eine Gaumenspalte und sagte, er sei sicher, keine Schädeldecke zu sehen. Rob und ich trafen die harte Entscheidung, die Herz–Monitore abzuschalten.

"Kleines Baby, bitte verlass mich nicht", flehte ich still. Ich wusste, der Herr konnte dieses Baby lebendig auf die Welt bringen, auch ohne Herz–Monitore. Rob, meine Schwester und ich lasen laut aus der Bibel vor indem wir wahllos Stellen aus der Heiligen Schrift aufschlugen. Der Herr segnete uns und obwohl ich mich nicht mehr an die jeweiligen Bibelstellen erinnern kann, passten sie jeweils genau in die Situation. Während dieser Zeit war der Herr gnädig und nach zehn Stunden Wehen öffnete sich der Muttermund innerhalb von 60 Minuten von 4 auf 10 Zentimeter. Meine Freundin, die Hebamme ist, kam gerade rechtzeitig, um mir beim Pressen und bei der Geburt zur Seite zu stehen. Was für ein Segen!

Ich presste eine Stunde lang und mein Baby kam mit dem Gesicht zuerst. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich, dass sie Anenzephalie hatte, da diese Geburtslage recht häufig ist bei betroffenen Kindern. Mein Ziel war es, sie so schnell wie möglich herauszupressen, um ihren zarten kleinen Kopf zu schonen.

Um 19:40 Uhr kam Jasmine Faith Rogers zur Welt.

Die Ärztin gab sie mir sofort in den Arm. Sie war warm und weich. Ich schaute in ihre blauen Augen und sagte "Hallo Baby, ich hab dich lieb." Ihre Hand bewegte sich leicht, sie drückte meinen Finger.

Es war etwas so Schönes und Weises in ihren Augen. Ich kann es nicht anders beschreiben, als einen Schimmer der Herrlichkeit des Allmächtigen Gottes. Sie schaute mich an, durch mich hindurch in eine Ewigkeit, die ich mir kaum vorstellen kann. Die Gegenwart Gottes im Raum war in diesem Moment so stark, dass ich nichts anderes fühlen konnte als Frieden und Freude. Das Leben – was für ein kostbares und wunderbares Geschenk.

Mein Mann war neben mir, streichelte ihre Arme und Beine und sagte ihr, wie sehr er sie liebte. Meine Schwester und die Hebamme fielen auf ihre Knie und priesen Gott. Die Ärztin und die Krankenschwestern weinten. Jasmines Puls wurde langsam schwächer, aber Gott hatte alles unter Kontrolle. Ich fragte Rob, ob er sie gerne halten würde. Er nahm sie und hielt sie einen Augenblick und sie starb in seinen Armen.

Genau da, wo sie hingehörte.

Sie begann ihr Leben in meinem Körper und beendete es in den Armen ihres Papas.

Jasmine lebte etwa zwei oder drei Minuten. Keiner weiss genau, in welchem Moment sie uns verliess, ausser ihrem Retter, der sie so liebevoll zu sich heim nahm.

Familie und Freunde strömten in den Raum. Sie alle bekamen die Möglichkeit, ihren kleinen Körper zu halten und von ihr Abschied zu nehmen. Jesus hielt die ganze Zeit über unsere Hand. Es war wirklich ein Friede, der alles Verstehen übersteigt. Ich sagte zu unserem Pastor: "Die Bibel sagt uns, wir sollen Schätze im Himmel sammeln. Jasmine ist unser Schatz im Himmel."

Ich vermisse meine Tochter immer noch sehr. Ich weiss, dass sie gut versorgt ist im Himmel, aber ich sehne mich danach, hier auf der Erde für sie zu sorgen. Ich weiss, dass sie es liebte, in der Gegenwart des Herrn zu sein. Wenn wir beteten oder lobpriesen, turnte sie jeweils in meinem Bauch herum. Ich wusste, dass sie stark war im Geist, denn sie hielt am Leben fest, bis ihr Körper es nicht mehr aushielt.

Und was meinen Glauben an den Herrn anbetrifft – Gott hatte Jasmine nicht so geheilt wie ich mir gewünscht hatte, aber er heilte sie auf seine Weise. Ich bin zu diesem Schluss gekommen: Echter Glaube ist nicht immer dorthin zu kommen, wo ich hinwill. Echter Glaube ist zu sagen: "Herr, der Weg ist zu schwer für mich, aber in deiner Kraft ist alles möglich." Echter Glaube ist zu wissen, dass Gott dies alles zum Guten wirkt. Ich weiss, dass ich am Ende mit meiner Jasmine für ewig im Himmel sein werde.

Michelle Rogers

 

 

Letzte Aktualisierung dieser Seite: 07.07.2021