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Jesse Tyler

 

18.6.1997

Mein Mann Greg und ich erwarteten unser viertes Kind im Juli 1997. Wir haben drei Söhne – Zwillinge im Alter von sieben Jahren, und unser Jüngster ist fünf. Wir hatten seit etwa vier Jahren ohne Erfolg versucht, schwanger zu werden. Wir hatten Probleme gehabt, als ich mit unserem jüngsten Sohn schwanger war. Die ärzte dachten, er würde mit Down Syndrom geboren werden, da sie während einem Routine Ultraschall eine vergrösserte Niere gefunden hatten. Aber alles war in Ordnung bei der Geburt, die Niere war nur ein bisschen grösser.

Als ich im Oktober 1996 herausfand, dass ich schwanger war, haben wir uns sehr gefreut, aber wir hatten auch Angst. Wir waren besorgt, ob alles mit dem Baby in Ordnung sein würde, wegen meiner letzten Schwangerschaft. Als ich zum Arzt ging, fragte ich ihn wegen Folsäure, ich hatte eine Werbung von March of Dimes über ihre Bedeutung gesehen. Er sagte, ich solle mir deswegen keine Sorgen machen und Kalzium und meine Vitamine einnehmen.

Ich hatte meinen ersten Ultraschall in der 13. Woche und alles sah wunderbar aus. Das Baby wuchs und begann sehr stark und hart zu treten. Ich war so glücklich, dass mein Baby sehr stark und gesund war. Ich hatte einen weiteren Ultraschall im Februar und zu meinem Entsetzen und meiner Überraschung war mein Baby nicht stark und gesund. Die Technikerin sagte mir, sie sähe etwas, das nicht in Ordnung wäre, aber sie wollte auf den Doktor warten. Er kam, sie besprachen sich und stimmten darin überein, dass mein Kind einen Neuralrohrdefekt namens Anenzephalie hätte. Das bedeutet, dass sich der Kopf meines Babys nicht ganz entwickelt hatte und es keine Gehirn hatte, nur den Gehirnstamm.

In diesem Moment zerbrach mein ganzes Leben. Was hatte ich getan? Was hatte ich unterlassen? Wie konnte Gott mir das antun, meiner Familie und meinem unschuldigen, ungeborenen Kind? Wir versuchten, mit dem Arzt zu reden, aber wir konnten kaum denken.

Er riet uns zur Abrtreibung, denn es wäre sehr schwer, das Kind auszutragen mit dem Wissen, dass es sterben würde. Wir gingen nach Hause, um darüber nachzudenken. Ich wollte eine zweite Meinung.

Wir suchten einige Spezialisten auf, bei denen wir wegen meines jüngsten Sohnes gewesen waren. Sie bestätigten, dass mein Baby Anenzephalie hatte. Ich wusste, dass ich keine Abtreibung haben könnte, denn dies war mein Sohn und ich liebte ihn sehr.

Ich rief das Krankenhaus an und fragte, was sie mit seinem Körper machen würden, und ob ich ihn beerdigen lassen könnte. An diesem Punkt merkte ich, wie entsetzlich diese Entscheidung gewesen wäre. Mir wurde gesagt, dass mein Kind, das ich seit Jahren ersehnt hatte, nach einer Abtreibung in orangen Tüten als Giftmüll entsorgt werden würde. Mein Kind war kein Giftmüll und Abtreibung war keine Option!

Wir sprachen darüber, die Geburt einzuleiten und ihn früher zu bekommen. Das wäre keine Abtreibung, dachte ich. Es wäre so, als wäre er zu früh gekommen. Ich bat Gott, mir bei der Entscheidung zu helfen. Ich denke, man kann sagen, er hat das getan, denn ich konnte nur immer wieder denken: "Was ist, wenn sie sich geirrt haben? Wenn er lebend geboren wird? Verdient er dann nicht alle Liebe, die ich ihm sehnlichst geben wollte?" Mir wurde klar, wie ich entscheiden sollte.

Greg war wunderbar während all dem. Er war so verständnisvoll. Er war besorgt, ob ich es gefühlsmässig verkraften würde, dieses verzweifelt ersehnte Kind auszutragen mit dem Wissen, dass es sterben würde. Ich versicherte ihm, dass ich nicht wüsste, was passieren würde, aber ihn auszutragen wäre die einzige Möglichkeit, mit der ich leben könnte, und er stimmte mir zu.

Ich verhielt mich so wie ich es bei jeder anderen Schwangerschaft auch gemacht hätte. Ich ass gesund, rauchte oder trank nicht - ich wollte mein Kind in keiner Weise schädigen.

Meine Schwangerschaft verlief gut, ich verlor Gewicht, gewann aber mehr und mehr an Umfang. Dem Baby ging es gut. Ich hatte sehr viel Fruchtwasser wegen der Anenzephalie.

Am 17. Juni ging ich zu meinem regulären Arzttermin. Wir sprachen darüber, dass wir die Geburt am 6. Juli einleiten würden, wenn die Wehen nicht vorher schon von alleine einsetzten. Bei Babys mit Anenzephalie muss man manchmal die Geburt einleiten.

In dieser Nacht setzten die Wehen ein, und mein Sohn Jesse Tyler wurde am 18. Juni geboren. Meine grösster Wunsch war, dass er wenn auch nur kurz leben würde, damit er die Liebe spüren könnte, die Greg, ich und unsere Söhne und Familie für ihn hatten. Doch es hat nicht sollen sein. Die Wehen waren zu schwer für Jesse und er starb, bevor er geboren wurde.

Wir liessen ihn trotzem taufen in der Gegenwart von Greg und meiner Familie. Wir machten Abdrücke seiner Hände und Füsse und einen Gipsabguss seiner Hand. Ich behielt Jesse Tyler den grössten Teil der Nacht bei mir, so dass mein Mann und ich uns von ihm verabschieden konnten. Ich wusste, ich hatte die richtige Entscheidung getroffen.

Meinen Sohn auszutragen und diese Minuten mit ihm zu verbringen, ihn zu halten und liebzuhaben, obwohl er schon zu Gott gegangen war, der ihn mir gegeben hatte, war die wertvollste Zeit. Die hätte ich nie gehabt, wenn ich auf jene gehört hätte, die mir geraten hatten, ihn abzutreiben oder die Geburt vorzeitig einzuleiten.

Ich war besorgt, dass er nicht gut aussehen würde und mit einigen Bildern Ähnlichkeit haben könnte, die ich gesehen hatte. Aber er war einfach hübsch. Er sah aus wie mein jüngster Sohn bei seiner Geburt.

Ich glaube, was mich am meistern verrückt macht, ist die Tatsache, dass mein Jesse nicht bei mir ist, aber dass dies vielleicht hätte vermieden werden können. Die Spezialisten sagten mir, dass ich wegen meiner Vorgeschichte hätte Folsäure einnehmen sollen. Besonders ab dem Moment, wo wir versuchten wieder schwanger zu werden. Sie sagten mir, wenn ich Folsäure bekommen hätte, wären das Risiko für Anenzephalie um 75% zurückgegangen. Ich wünschte, ich hätte es gewusst. Anenzephalie tritt vor dem 28. Tag nach der Empfängnis auf, darum muss man bereits Folsären nehmen, bevor man schwanger wird, und nicht dann, wenn man die Schwangerschaft sicher feststellt.

Ich denke, was ich Ihnen sagen möchte, ist, dass es es wert ist, Ihr Kind auszutragen. Auch wenn es nicht am Leben ist, wenn es geboren wird, ist es es doch immernoch wert, es für einen Moment in den Armen zu halten. Es half mir auch, Abschied zu nehmen, dass ich wusste, ich hatte Jesse alles gegeben, was ich ihm geben konnte und dass er all die Liebe verdient hatte, die wir ihm gegeben hatten.

Manche Leute verstehen das vielleicht nicht, aber es geht uns wirklich gut. Meine Söhne, Greg und ich sprechen täglich über Jesse. Im September hatte ich Geburtstag und Greg kaufte mir eine Kette mit Steinen für meine drei Jungs und einen Engel für Jesse. Ich liebe sie. Jesse wird niemals vergessen oder ersetzt werden. Greg und ich werden versuchen, ein weiteres Kind zu bekommen, sobald ich vier Monate lang Folsäure genommen habe. Meine Hoffnung ist, dass mein Kind gesund geboren wird, aber wenn Gott entscheidet, dass es nicht so sein soll, weiss ich, wie ich mich entscheiden werde. Ich würde mein Kind austragen und völlig liebhaben.

Delana Blackstone

 

Aus dem Amerikanischen übersetzt mit Erlaubnis der Anencephaly Support Foundation

 

 

Letzte Aktualisierung dieser Seite: 23.02.2019