Moriah Faith
27.2.1997
Im Sommer 1996 erlebte ich meine 11. Schwangerschaft. Doug und ich haben unser erstes Baby durch eine frühe Fehlgeburt
verloren, ohne den Grund dafür zu kennen, haben aber danach weitere 9 gesunde und liebe Kinder bekommen, die jetzt
zwischen 13 und 1 Jahr alt sind. Da wir Babys gerne haben und es lieben, sie zu herzen und ihre Entwicklung zu
beobachten, wurde dieses Baby mit ebenso viel Freude erwartet und war ebenso erwünscht wie alle anderen Kinder, welche
uns geschenkt wurden. Wir glauben fest daran, dass jedes Kind seine Bestimmung hat und wir freuten uns sehr
darauf, beobachten zu können, wie sich die Bestimmung dieses Babys in seinem Leben zeigen würde.
Vor der Geburt jedes neuen Babys habe ich den Kindern jeweils Folgendes erzählt: Du hast herausgefunden dass du ein
Geschenk erhältst von einer sehr besonderen Person, von welcher du weisst, dass sie dir immer das perfekte Geschenk
macht. In der Vorfreude auf das Geschenk, fängst du an dir vorzustellen, wie das Geschenk wohl aussehen
wird. Da du ja weisst, dass das Geschenk einmalig und speziell sein wird, denkst du natürlich, dass die Verpackung
ebenso spektakulär sein wird, wie das Geschenk selbst. Wenn du aber siehst, dass die Verpackung nicht so aussieht wie
du es erwartet hast, mag es zwar zuerst eine Enttäuschung für dich sein; hält es dich aber davon ab, entdecken zu
wollen, was im Paket drin ist? Nein, du hast absolutes Vertrauen in den Schenkenden und weisst auch, dass der wahre
Wert des Geschenkes im Paket drinnen ist, weshalb Dein Interesse am Entdecken des Geschenkes anhält. Du bewahrst die
Vorfreude, welche bereits bei der Auswahl des Geschenkes vorbestimmt war.
Ich nehme an, dass du die Verbindung gemacht hast: ein Baby von Gott zu bekommen und dann zu entdecken, dass der Körper
dieses Babys nicht dem Bild entspricht, welches du dir von ihm gemacht hast. Ehrlich gesagt ist es der Geist des Babys der
aus deinem Baby ein spezielles Geschöpf macht - im Geist birgt sich das grösste Potential einer
Bereicherung. Viele ausgewählte Geschenke bereiten nicht unendlich lang Freude - tatsächlich bereiten einige nur kurze
Zeit Freude, und diese Tatsache liegt in der Hand der Person, welche das Geschenk überreicht.
Das erste Anzeichen, welches Bedenken aufkommen liess, kam ca. in der 25. Schwangerschaftswoche, als ich mich an eine
Vergrösserung der Schilddrüse erinnerte, die ich zur Zeit der Empfängnis hatte. Zu diesem
Zeitpunkt realisierte ich, dass diese Tatsache ein Zeichen von etwas Abnormalem in der Entwicklung des Babys sein
könnte. In der 28. Schwangerschaftswoche machte ich mir Sorgen, weil ich schon das Bedürfnis hatte, das Nachtessen
auszulassen - und ich wusste, dass es viel zu früh für so etwas war.
Nachdem ich bereits Erfahrung mit 5 erfolgreichen Hausgeburten hatte, planten wir wieder eine Hausgeburt. Als ich meine
Hebamme das erste Mal besuchte, erzählte ich ihr von meinen Bedenken. Sie empfahl, dass bei einem Ultraschall
besonders auf die Entwicklung des Herzens zu achten, weil dort ein Problem auftauchen könnte. Sie stellte
eine grosse Fruchtwassermenge fest, aber die Grösse der Gebärmutter schien nicht ausserhalb des normalen Rahmens, da
ich meistens grosse Babys habe. Beim nächsten Termin, ca. 32. Woche, meldete ich, dass das Baby sehr hoch lag - es
schien als ob mein Magen auf einer Seite hochgepresst wurde und dieser schmerzvoll auf einen Muskel in meinem Rücken
drückte, wenn ich viel ass oder trank. Sie bestätigte dies während des Untersuchs und kommentierte ohne Alarmzeichen,
dass es etwas sonderbar war, das Baby so hoch zu spüren. An diesem Abend konnte ich das Gefühl nicht abschütteln, dass
es bestimmte Gründe gab für diesen Zustand, aber mit meinem limitierten Wissen konnte ich nur die Möglichkeit eines
vorliegenden Mutterkuchens (Placenta previa) vermuten. Da ich wusste, dass dieser Zustand eine Heimgeburt verunmöglichen
würde, glaubten wir, dass es Zeit für einen Ultraschall war. Wir nahmen Kontakt auf mit einem lieben Freund,
welcher den Untersuch vornahm. So waren er und seine Frau die überbringer der schmerzvollen Nachricht, dass unsere
Tochter an Anenzephalie litt. Sie teilten unseren ersten Schock und Trauer und beteten auch mit uns.
Unsere Hebamme wurde informiert - sie hatte den Signalen nichts zuordnen können, weil sie noch nie vorher eine
Patientin in einer solchen Situation betreut hatte. Sie hatte ein wenig Erfahrung mit Hydramnion (zu grosse Produktion von
Fruchtwasser, kommt in vielen Schwangerschaften mit einem Baby vor, das keinen Schluckreflex hat). Hydramnion kommt
nicht in allen Schwangerschaften mit Kindern mit Anenzephalie vor, aber auch nicht nur in solchen Schwangerschaften. Die ersten
Information, die wir über Anenzephalie bekommen hatten, liessen uns nur wenig Hoffnung, aber wir waren zuversichtlicher,
als wir Berichte von der Anencephaly Support Foundation erhielten. Es gab Anzeichen auf ein bisschen mehr Hoffnung als
zuerst angenommen.
Wir waren so dankbar, von einer Hebamme mit starkem christlichen Glauben umgeben zu sein, einem Arzt, der das Recht
auf Leben verteidigte und von Familie und Freunden, welche ebenfalls mit uns der Meinung waren, dass das Leben
dieser Kleinen solange gehegt werden sollte, wie Gott es erhalten wollte. Wir hatten nicht den Wunsch, ihr Leben zu
beenden, bevor Gott es für richtig hielt. Wir glaubten, dass obwohl Moriah eine limitierte mentale Kapazität besass, sie
einen aktiven Geist hatte, welcher fähig war, unsere Liebe für sie zu aufzunehmen und zu erwidern. Und obwohl sie,
unabhängig davon, zu welchem Zeitpunkt der Schwangerschaft die Geburt erfolgte, danach sterben würde, brauchten wir die
Sicherheit, die Zeit zu erhalten, um alle Bedürfnisse für Moriah's Leben zu befriedigen. Das Unwohlsein aufgrund des
Hydramnion war nur eine minimale Beeinträchtigung - unsere Zeit mit dem Baby wollten wir ausnützen.
Wir wussten, nachdem Diagnose bekommen hatten, dass unser Baby Moriah Faith heissen sollte. Als wir kurz vorher über
diesen Namen sprachen, meinte Doug, dies würde uns an die Geschichte in Genesis 22 erinnern, und daran, wie Gott
vorsieht, aber ich fragte mich, ob hier nicht eine grosse Prüfung auf uns zukomme. Wir konnten uns nur schlecht
vorstellen, dass wir all unsere Wünsche für Moriahs Leben beiseite legen mussten, dass dies aber als Teil dieser
biblischen Geschichte passen würde. Wir setzten unser Vertrauen in Gottes grosse Weisheit und begannen darauf zu achten,
was Gott während dieser Zeit mit uns vorhatte.
Es wurde uns ganz klar bewusst, dass das, was wir Moriah geben konnten, limitiert sein würde. Aber wir waren überwältigt
vom Wunsch, ihr zu geben was wir konnten. Ich spürte dass etwas, was wir ihr sicher geben konnten, eine liebevolle
Atmosphäre war. Aktive Trauer würde später kommen müssen - dies hier würde die Zeit sein, Moriah spüren zu lassen, dass
ich mich freute, sie bei mir zu haben. Es war sehr hart für mich, daran zu denken, dass Moriahs Zeit mit uns nur kurz
sein würde. Ich brachte es nicht über mich, die Babysachen unserer älteren Töchter durchzugehen und so kauften wir
einige neue Babykleider für sie, um sie später warm halten zu können. Unsere Gegenwart und Wärme würde unser Geschenk
der Liebe an sie sein, falls uns etwas Zeit mit ihr geschenkt würde.
Der erste Trost aus der Heiligen Schrift kam von einem Freund, welcher mich direkt zu Psalm 16 führte. In diesem Kapitel
wurden zwei Verse sehr wichtig für mich als Schlüssel für das, was wir gewinnen konnten durch diese Erfahrung. Vers 5
sagt:
Du, Herr, bist alles was ich habe; du gibst mir alles was ich brauche. In deiner Hand liegt meine Zukunft.
- ich hoffte, mehr von Gott für mein Leben zu gewinnen. Moriahs Gewinn schien in Vers 11 wiedergeben -
Du beschenkst mich mit Freude, denn du bist bei mir. Ich kann mein Glück nicht fassen, nie hört es auf.
Für Moriah würde es eine total wunderbare Erfahrung sein, den Himmel zu gewinnen.
Die fünf Wochen zwischen Moriahs Diagnose und ihrer Geburt verbrachte ich hauptsächlich damit, von der Couch aus die
Aktivitäten meiner Kinder zu beaufsichtigen. Meine Mutter war gekommen, um mir in jeder nur möglichen Weise zu helfen,
was eine wunderbare und nötige Fürsorge war.
Für die meisten Eltern ist die grösste Frage während der Schwangerschaft ob es Junge oder Mädchen sein wird. Unsere
grösste - unausgesprochene Sorge - war, ob unser Baby die Geburt überleben würde. Wir konnten hierüber nicht öffentlich
spekulieren, weil wir wussten, dass dies völlig ausser unserer Kontrolle lag.
Die Hebamme und der Arzt unterstützten uns weiter für eine Hausgeburt. Der Hydramnion hatte zwei Mal zu frühen Wehen
geführt, so dass wir begründete Hoffnung hatten, dass die Wehen von selbst einsetzen würden. Ursprünglich hatte ich
grosse Angst, wenn ich an die Zeit der Wehen und Niederkunft dachte, und es schien so viele verschiedene Ausgänge für
unsere Geschichte zu geben. Dann realisierte ich aber, dass Gott bereits zugunsten von Moriah gewirkt hatte und ich
fühlte das sichere Versprechen, dass die Wehen und Niederkunft schonend und sanft für Moriah sein würden. Das brachte
den Trost und die Stärke, welche ich brauchen würde, dies durchzustehen. Sowohl meine wie auch die Gesundheit des
Babys blieben gut. Die Ausdehnung meiner Gebärmutter durch den Hydramnion wurde ein bestimmender Faktor in Bezug darauf,
wie lange die Schwangerschaft noch andauern würde, falls die Wehen nicht von selbst einsetzten.
Am Freitag nach dem ausgerechneten Geburtstermin wurde der Hydramnion ein seriöses Problem, da der Gebärmutterfundus
(oberster Punkt der Gebärmutter) bei 45 cm lag. Niemand schien zu wissen, welche die sicheren Parameter waren, aber
alle waren sich einig, dass je mehr die Gebärmutter ausgedehnt war, je grösser die Risiken für die Geburt würden. Die
Hebamme und Doug entschieden, es sei an der Zeit, eine natürliche Geburtseinleitung zu versuchen in der Hoffnung, dass
wir die Uhr überlisten könnten, bevor uns die Zeit davonlief für eine Heimgeburt. Zwei Nächte mit zwei verschiedenen
Einleitungen mochten den Gebärmutterhals nicht zu öffnen.
Am Samstag kamen einige meiner treuesten Freunde zu uns, um Geschenke für das Baby zu bringen. Einige von ihnen hatten
angeboten, ein Kleidchen für Moriah zu kaufen, und das öffnen der Päckchen war bittersüss - ich wusste, dass wir Moriah
darin beerdigen müssten und die Zeit dazu bald kommen würde. Wir bekamen zwei selbstgemachte Deckchen - eines von meiner
Mutter und eines von meiner Tante. Mir kam der traurige Gedanke, dass sie höchstwahrscheinlich nicht so viel Zeit mit
Moriah verbringen würden, wie für die Herstellung ihrer Geschenke nötig war. Ich war dankbar für all die Sachen, welche
gemacht wurden und hoffte, dass wir noch einige Zeit mit Moriah verbringen durften.
Am Montagnachmittag war der Gebärmutterfundus auf 48 cm angestiegen, d.h. 1cm Zunahme pro Tag anstatt 1 cm pro Woche.
Unser betreuender Arzt meinte, es wäre jetzt Zeit für eine Spitalaufnahme. Ich hatte so gehofft, die Wehen würden
natürlich einsetzen, so dass ich die Sicherheit gehabt hätte, dass alles nach Gottes Zeitplan geschehen würde. Als
ich am Mittwochmorgen ins Spital ging, wurden bereits 53 cm gemessen, eine Zunahme von 5 cm an einem Tag. Tatsächlich
schien es soweit, dass wir etwas unternehmen mussten - zu meiner Sicherheit und in Anbetracht meiner neun Kinder zu
Hause.
Meine Sorgen betreffend Wehen und Niederkunft kamen genau im rechten Moment. Ich kam zur Einsicht, dass das
Durchmachen von Wehen und die Geburt ein Geschenk an Moriah sein würden, um ihren Geist vom Gefängnis ihres Körpers zu
befreien. Ich spürte, dass sie eine viel grössere Persönlichkeit war, als ihr Körper dies hier auf Erde auszudrücken
vermochte - dass sie dazu bestimmt war, direkt in den Himmel aufzusteigen.
Einer der grossen Vorteile der uns zuteil wurde, war die Begleitung durch unsere Hebamme. Von dem Moment an,
als meine Wehen begannen, waren sie konstant eine Minute auseinander, trotzdem dauerte es 30 Stunden bis zur
Niederkunft. Das Gewicht der Fruchtblase hätte die Ausdehnung bewirken müssen, da der Druck des Schädelknochens nicht
vorhanden war. Die Hebamme dachte, dass mein Gebärmutterhals innerhalb weniger Stunden zwischen 6 und 7 cm ausgedehnt
sein würde und wir hofften, dass die Geburt nun direkt bevorstand, da ich bereits weit unten ziemliche Schmerzen hatte.
Als jedoch der Arzt gegen Mittag eintraf, war seine Feststellungen nicht sehr ermutigend - ich hatte eine Ausdehnung von
3 cm nach seinen Messungen. Wir wussten jetzt, dass das Ausmass der öffnung des Gebärmutterhalses vom Druck der
Fruchtblase auf denselbigen abhing. Dieser Druck konnte jedoch allein durch meine Bewegungen reduziert werden. Während
des ganzen Tages gab es nur ganz kleine Fortschritte. Gegen Mitternacht wurde die Pitocinzufuhr verringert, in der
Hoffnung, dass ich ein bisschen ruhen könne.
Am nächsten Morgen war ich in einem sehr trüben emotionalen Zustand -
ich war in einer Situation, in der ich nicht sein wollte und es schien überhaupt keine Fortschritte zu geben. Während
der Nacht waren jedoch für den Arzt gerade genug Hinweise auf Fortschritt erfolgt, die ihn davon überzeugten, dass die
Niederkunft an diesem Tage stattfinden würde. Er hatte gehofft, dass die Fruchtblase zum Schutz des Babys nicht platzen
würde, bis das Köpfchen draussen war; als ich aber zu stossen begann, brach das Wasser. Die Flüssigkeit wurde
aufgefangen und gemessen - rund 8.5 l (normal sind 1 l). Mein Bauch wurde sichtlich flacher und ich realisierte, dass
das Baby ziemlich klein sein musste, weil keine grosse Ausbuchtung mehr übrig blieb.
Ich war so erleichtert nachdem die
Flüssigkeit weg war, dass ich dort stehen bleiben und einfach nur mein Baby behalten wollte, aber dann realisierte ich,
dass Moriah nicht länger leben konnte. Gott gab mir nun die Kraft, das zu tun, was ich als nächstes tun musste -
stossen. Moriah kam mit dem Gesichtchen voran - und wir waren dankbar dafür, dass sie wahrscheinlich keine Schmerzen
spüren würde, obwohl diese Phase doch die grösste Anstrengung für ein Baby ist. Der Arzt war so einfühlsam und sehr
darauf bedacht, in keiner Weise ihr Gesichtchen zu verletzen.
Moriah war ganz blau beim ersten Anblick, so dass Doug keine grosse Hoffnung hatte, dass sie leben würde, aber ich war
ganz aufgeregt, als der Arzt und die Hebamme mir Moriah in die Arme legten. Sofort als ich in ihr Gesichtchen schaute,
war mein Herz voller Erbarmen mit ihr. Gottes Geist flüsterte mir zu, dass dies der Weg war wie sie geschaffen war, und
es mir erlaubte, sie zu akzeptieren und sie von ganzem Herzen zu lieben. Ihre Augen waren offen und sie schien so
lebhaft und munter.
Moriah atmete nicht richtig, aber sie bekam etwas Sauerstoff. Wir konnten sehen, dass sie blind
war - ihre Augen waren perfekt entwickelt, aber ihre Pupillen waren sehr klein. Ich erinnere mich, dass ich auf Moriahs
kleines Köpfchen schaute und daran dachte, dass es so aussah, wie wenn die Haut genau dort endete. In der Zeit,
in der ich bereits meine Freude und Liebe für sie ausdrücken konnte, hatte Doug die Nabelschnur abgeschnitten und war
bereit für seinen Teil - ich war so dankbar, dass sie die Gelegenheit hatten einander kennen zu lernen.
Später erzählte
mir Doug, dass er einige Basisreflexe getestet hatte - sie hatte nach seinem Finger gegriffen, als er ihn in ihre Hand
gelegt hatte. Er hatte das Gefühl, dass sie "Hallo, und ich danke dir" gesagt hätte. Vielleicht wusste sie irgendwie,
dass wir sie bedingungslos liebten und das Beste für ihr Wohl wollten. Wir hatten beide ein Funkeln in ihren Augen
beobachtet - ein Zeichen dass das Leben präsent war. Für mich schien dies ein so grosses Geschenk - es war die irdische
Belohnung, dass sich der zusätzliche physische und emotionale Stress, welcher unvermeidlich war, wahrhaftig gelohnt
hatten.
Moriah's Herz schlug 50 Minuten lang. Ich wünschte damals, wir hätten die Zeit anhalten können, aber wir wären
nie zufrieden gewesen; wir hätten uns immer mehr und mehr Zeit gewünscht. Die Tatsache, dass die Zeit so limitiert war,
machte es für uns so kostbar.
Moriah wurde am 27. Februar 1997 geboren und wog 2710 g.
In der folgenden Stunde wurden die Geschwister geholt, um ihre Schwester anzuschauen. Wir hatten das Spitalkäppchen unter
Moriahs Kinn festgebunden, und so konnten wir uns nur auf ihr kostbares Gesichtchen konzentrieren. Wir kleideten sie so
an, dass wir problemlos Moriahs perfekte kleine Händchen und Füsschen bewundern konnten. Jedes der Kinder hielt sie und
liebte sie genau so wie jedes andere neue Geschwisterchen. Wir alle wünschten uns, dass es möglich wäre, dass sie mit
uns leben würde, aber wir wussten auch, dass ihr alle Sorgen dieser Welt erspart bleiben würden.
Emotional hatte ich die Freude der Geburt und das euphorische Gefühl, ein Neugeborenes zu halten, obwohl ich auch
überwältigt war von der Gnade, Moriahs Tod akzeptieren zu können. Die Sichtbarkeit der Fehlbildung hatte die volle
Gewissheit gebracht, dass Gott für Moriah nicht die Möglichkeit für ein Leben auf dieser Erde verfügt hatte. Ich war
dankbar zu wissen, dass Moriah im Himmel komplett glücklich sein würde und dort vollendete Freude und Zufriedenheit
erfahren dürfte.
Später realisierte ich, dass ich der Realitität ins Gesicht schauen musste betreffend des Verlustes, den ich spürte -
und dass es Zeit brauchen würde, in mir selbst Frieden zu finden. Die Gnade, mich Gottes Plan zu unterwerfen und
akzeptieren zu können war immer vorhanden, und obwohl es zum Zeitpunkt des Todes überwältigend und unwiderruflich war,
schien es später, dass wir dies einfach akzeptieren mussten.
Die Krankenschwestern hatten Bluttransfusionen vorbereitet für den Fall grösserer Blutungen, aber alles lief glatt für
mich während der Entbindung - kein Abriss der Planzenta, die Gebärmutter war nicht so schnell zurückgegangen, dass
Schaden entstanden wäre und der Arzt hatte mir sofort eine Spritze in die Gebärmutter gegeben, damit sich diese
schnell zurückbildete, und so allzu grosse Blutungen verhindert würden. Die Hebamme meinte, dass die 30 Stunden
Pitocin auch für die Kontrolle der Blutungen nötig gewesen waren. Die Entlassung wurde bewilligt und man erlaubte mir
zwei Stunden nach der Entbindung nach Hause zu gehen.
Wenige Wochen vor Moriahs Geburt hatten wir die Gelegenheit, uns ein wenig auf Moriahs Abschied vorzubereiten, als
wir an der Beerdigung des 2 Jahre alten Sohnes von Freunden von uns teilnahmen. Die Situation unserer Freunde war
tragisch genug und der Gedanke, dass die nächste Abdankung jene unserer Tochter sein würde, machte die Angelegenheit
extrem traurig. Durch diese Umstände wurde mir bewusst, dass wir überhaupt keinen Einfluss haben, wann uns der Geist
einen Menschen verlässt, aber wir können von seinem Körper Abschied nehmen. Ich betrachtete Moriahs Körper als die Hülle
ihres Geistes und Lebens, wollte aber keine unnatürliche Zuneigung entwickeln. Wir entschieden, den Leichnam
nicht aufzubahren im Leichenhaus, um Moriah so in Erinnerung zu behalten, wie Gott sie geschaffen hatte und wir sie
kannten; weich und behaglich warm.
Wir erlaubten es 2 von unseren Freunden, Fotos von ihr im Leichenhaus zu machen,
nachdem wir sie für die Beerdigung gekleidet hatten, aber selbst als wir einige Wochen später die Bilder betrachteten,
fühlten wir uns bestätigt, dass die Entscheidung, einen geschlossenen Sarg zu wählen, richtig für uns war.
Zurückblickend bin ich sicher, dass man im Leichenhaus alles gemacht hätte was wir wünschten, aber sie taten
tatsächlich nichts anderes als sie anzukleiden. Das Käppchen bedeckte die Wunde nicht richtig und ihr
Gesichtchen war ganz rot vom Blut, welches in den vielen Gefässen gestaut war. Sie sah überhaupt nicht aus wie die
zärtliche Kleine, welche wir vor kurzem gesehen hatten. Bevor sich unsere Familie zur Beerdigung begab, sammelten wir
unsere Kinder und gaben das Obenerwähnte wieder. Wir erklärten ihnen, dass die Zeremonie symbolisch sei und wir
realisiert und akzeptiert hätten, dass das Geschenk vorüber und die Verpackung ihren Dienst getan hätte.
Es half mir sehr all jenen Dankesbriefe zu schreiben, die uns unterstützt hatten. Ich konnte meine Gedanken sortieren
und in Worten fassen. Ich realisierte, dass ich daran glaube, dass wir innerhalb Gottes Grenzen die Möglichkeit gehabt
hatten, Moriah alles uns denkbar Mögliche zu geben und dass Gott ihr ermöglicht hatte, uns alles zu geben was sie
konnte. In diesem Moment begriff ich, dass eine Hauptklage daraus resultierte, dass meine Wünsche nicht der
erstinstanzliche Faktor waren, als Gott die Grenzen setzte. Eine andere wichtige Entdeckung war für mich, dass eine
Schwangerschaft die Zeit für eine Mutter darstellt, eine lebenslange Beziehung zu ihrem Baby herzustellen, und es
scheint so, dass wir das Konzept eines langen Lebens für uns in Anspruch nehmen. Die Kombination dieser Gedanken macht
es schwierig für uns zu glauben, dass der Sinn des Lebens unseres Babys erfüllt wurde während ihrer kurzen Zeit in
diesem Reich. In Wahrheit werden unsere Kinder für Gottes Zwecke kreiert, obwohl wir oft das Privileg so mancher
persönlicher Freude und Bereicherung erleben dürfen.
Die Schlussfolgerung im "Kapitel Moriah" im Buch unseres Lebens schien gekommen zu sein, als meine Mutter wieder
zu sich nach Hause ging. Sie war ein so grosser Teil unserer Hoffnung gewesen, wofür wir diverse Wochen gelebt
hatten. Ich musste nun der Tatsache ins Auge schauen, dass Hoffnung nicht länger eine reale Emotion für uns war -
eigenartigerweise war das Aufgeben der Hoffnung, woran wir uns so lange geklammert hatten, verheerender für mich als
das Aufgeben von Moriahs Körper. Es war das wahre ins Gesicht sehen der Realität.
Ich hatte die Zeit von Moriahs ersten Monaten "in utero" als Gefühl einer intensiven Kraft von Gott charakterisiert.
Zurückschauend glaube ich, dass Er so nah bei mir war wegen Seiner grossen Liebe zu Moriah und Sein Wissen um ihre
speziellen Bedürfnisse. Er wusste, dass sie den Schutz und Segen einer Mutter mit sanftem Herzen bedurfte und so gab
Er mir die spezielle Kraft für sie.
Ich fühle immer noch Gottes Beistand als er mich begleitete während meiner Zeit der
Trauer. Wir glauben, dass Moriahs Tod ihr den totalen Triumph brachte. Wir wussten, dass sie nichts zu gewinnen hatte,
indem sie in dieser Welt lebte, und so freuen wir uns über ihren viel grösseren Gewinn. Wir betrachten es so, dass der
Sinn ihres Lebens und ihre Geschichte besser erfüllt wurden durch ihren Geburtsfehler und Tod als durch Vollkommenheit
und langes Leben. Unsere Leitlinie bezieht sich auf A.W. Tozers Buch Das Wissen über das Heilige - "Alle Werke Gottes
wurden in Weisheit vollbracht". Nur indem wir Gott vertrauen, haben wir den Frieden zum Weitergehen gefunden, und dieser
Frieden hat unser Verständnis untermauert. Wir wissen, dass Moriah ein Teil von dem sein wird, was den Himmel so
speziell für uns macht. Wir haben es als ein grossartiges Privileg betrachtet, eine solche befreiende Entscheidung in
der Erhaltung des Lebens zu machen!
Elaine und Doug Mifflin
Aus dem Amerikanischen übersetzt mit Erlaubnis der Anencephaly Support Foundation
Letzte Aktualisierung dieser Seite: 25.02.2019