Samuel Chase
2.3.1995 - 3.3.1995
Ein Geschenk Gottes: Die Geschichte von Samuel
Eins der grössten Geschenke Gottes für einen Vater ist die Erfahrung der bedingungslosen Liebe eines Kindes und
besonders der Liebe, die ein Neugeborenes ausdrückt. Sie ist unaufgefordert und unerschütterlich. Sie ist vertrauensvoll
und treu. Sie ist der Typ von Liebe, die ich selbst Gott gegenüber ausdrücken möchte, und ich tue mich schwer damit
wegen der täglichen Erfahrungen, die ich im Leben mache. Samuel gab uns eine Chance, diese Art Liebe zu erfahren; ich
danke dem Herrn für solch ein wunderbares Geschenk wie ihn.
Samuel Chase Woodruff wurde am 2. März 1995 um 13:54 Uhr geboren. Er war mein erstgeborener Sohn. Die Zeit, die wir mit
ihm verbringen konnten, wird mir immer viel bedeuten, und ich wünschte nur, ich hätte ihn so gut gekannt wie meine Frau.
Sie hatten vor der Geburt eine besondere Verbindung zueinander, die nur Mutter und Kind erleben können.
Medizinisch gesprochen hatte Samuel "Anenzephalie mit offenem Schädel". Anenzephalie ist ein tödlicher Fehler des
Neuralrohrs, der bei einer von etwa 2500 Schwangerschaften auftritt. Dabei werden der obere Teil des Gehirn und des
Schädels nicht vollständig gebildet. Viele Babies mit dieser Fehlbildung leben nicht bis zur Geburt oder überleben den
Weg durch den Geburtskanal nicht, denn ihnen fehlt die schützende Schädelplatte um das Gehirn. Samuel hatte keinen
Schädel, soweit wir wissen, nur eine dünne Gewebeschicht als Schutz für sein Gehirn.
Wir erfuhren von dem Begriff "Anenzephalie" zum ersten Mal während einem Routine-Ultraschall im 4. Monat.
Die Technikerin, die die Prozedur durchführte, änderte plötzlich ihre gutgelaunte Einstellung und begann, bestimmte
Bereiche des Babys wie Wirbelsäule und Schädel besonders zu untersuchen. Die Ernsthaftigkeit der Untersuchung wuchs
noch und erforderte die Gegenwart einer ärztin. Ich sprach die ärztin an, als sie eintrat, und verlangte Antwort auf
meine Fragen.
"Gibt es ein Problem mit dem Baby?" fragte ich.
"Ich muss meine Vermutungen erst bestätigen lassen", sagte sie.
Ich liess nicht locker: "Wenn sich Ihre Vermutungen bestätigen, ist es etwas Ernstes?"
"Wenn ich richtig liege, dann ist es wirklich ernst," erwiderte sie scharf, beinahe, als hätte ich ihre technischen
Fähigkeiten angezweifelt.
Es war das erste Mal, dass Lisa und ich uns des Begriffs "nicht lebensfähig" bewusst wurden. Wir gingen zur
gynäkologischen Abteilung zurück und warteten auf eine ärztin. Die ärztin, die Lisa sonst behandelt hatte, war im
Urlaub, und so bekamen wir die Diagnose von einem unbekannten Gesicht, das nur dabei half, uns von unserem
Glaubenssystem zu trennen.
Die ärztin nahm an, unser Antwort würde sein, die Schwangerschaft abzubrechen, und sie führte uns die Möglichkeiten
auf. Sie ging davon aus, wir könnten innerhalb von ein paar Tagen damit fertig werden. Samuel war 17 Wochen im
Mutterleib und wir kamen unter Zeitdruck in Bezug auf einen Schwangerschaftsabbruch im Krankenhaus, das Zäpfchen
verwendete, um die Geburt einzuleiten. Die anderen Möglichkeiten für einen Abbruch im zweiten Drittel der
Schwangerschaft standen in diesem Krankenhaus nicht zur Verfügung. Stattdessen wurden sie von der Universitätsklinik
durchgeführt. Mit ihren Worten wäre es verrückt, dieses Kind auszutragen, und wir sollten einfach zur Tagesordnung
übergehen. Wir verliessen das Krankenhaus sehr verzweifelt und verwirrt.
Wir riefen unsere Eltern an, unsere Freunde und unsere Gemeinde. Wir versuchten, Antworten zu finden, um dieses
schwierige Thema in den Griff zu bekommen, und bekamen liebevollen Druck von Familienangehörigen, die Schwangerschaft
nicht abzubrechen. Wir umgaben uns mit der Liebe anderer Christen, die uns halfen, uns durch diese Zeit der Versuchung
zu arbeiten.
Ich war immer noch dabei, die verbliebenen Schranken abzubauen, die sich zwischen mir und Gott gebildet hatten. Ich
erinnere mich, wie ich meinen Freund Charlie anrief und mit ihm über die Diagnose sprach. Ich beschäftigte mich mit
dem "Was-wäre-wenn-Syndrom". Was wäre, wenn wir die Schwangerschaft abbrechen? Was wäre, wenn die ärzte sich geirrt
haben? Was, wenn das Baby lebensfähig wäre? Was, wenn Gott andere Pläne hat? Was wäre wenn?
Charlie und ich haben einen ähnlichen Hintergrund. Als Ingenieure sind wir beide technisch orientiert und erleben eine
physische Welt, in der alles logisch und mechanisch ist. Ich wuchs damit auf, zu einer Gemeinde zu gehen. Ich war Gott
und Religion ganz ausgesetzt, aber aus irgend einem Grunde hatte ich keine solide Beziehung mit Gott und ging meine
eigenen Wege, als ich siebzehn oder achtzehn war. Für eine Weile hielt ich mich für einen Agnostiker und stand am Rande
des Atheismus.
Aber wie unser Pastor uns erinnerte: Gottes Zeitplan ist perfekt. Gott gab Lisa und mir etwa ein Jahr, um Ihn besser
kennen zu lernen und uns auf diese schwierige Zeit und die Glaubensprobe vorzubereiten. Ich kämpfte mit meinen
restlichen Barrieren und den "Was-wäre-wenn" Fragen. Charlie sagte im Spass: "Wäre das Leben nicht einfacher ohne
Christus?". Wow, das waren kraftvolle Worte. Für jemanden mit dem Hintergrund eines Ingenieurs war es einfacher,
die medizinischen Punkte zu überdenken, die Prognose und körperlichen Auswirkungen abzuwägen, und dann eine Entscheidung
zu treffen. Es gibt keine "Was-wäre-wenn"-Fragen, sondern stattdessen ist die Lösung eine Antwort, die statistische
Werte von vorhergegangenen Fällen verwendet und für mich schien es steril und gefühllos.
Gottes geistliche Welt ist völlig gegensätzlich der gegenüber, in der ich gewöhnt war zu leben: Es ist eine Welt von
unvorstellbarer Liebe und Opferbereitschaft. Von einem geistlichen Standpunkt gesehen, erschien mir die Entscheidung
eher schwieriger wegen der "Was-wäre-wenn" Fragen. Wir fanden heraus, dass die einzige Antwort war, unsere Sorgen an
Gott abzugeben. Er nimmt die Vermutungen weg, er nimmt die Last ab und prüft unseren Glauben. Dies war der Wendepunkt
in meinem geistlichen Leben. Ich blieb immer noch neutral in Bezug auf einige meiner "Theorien" und brauchte einen
Tritt, damit meine Grundlage erschüttert wurde. Ich verbrachte Zeit damit, über Christus und sein Opfer zu lesen. Ich
lud Jesus in mein Leben ein und bat ihn, mir Kraft zu geben. Mit der Hilfe des Heiligen Geistes landete ich mit meinen
Füssen wieder auf festem Boden.
Durch Gebet und das Gebet von anderen machte Gott uns stark. Samuel wuchs weiter im Mutterleib. Jedenfalls wurde der
Weg wieder mühsamer, als wir herausfanden, dass Lisa wenig Fruchtwasser hatte. Die ärztin verschrieb Lisa Bettruhe für
den letzen Schwangerschaftsmonat. Wir wünschten uns sehnlichst, dass Samuel lebend geboren werden würde, und wir baten
andere, für dieses Anliegen zu beten.
In einem unvergleichlichen Glaubensschritt ging Lisa Samuel gegenüber eine Verpflichtung ein und opferte ihre Sicherheit
entgegen der Empfehlung der ärztin, indem sie einen Kaiserschnitt wünschte, wenn das Baby während der Geburtseinleitung
in Probleme kommen würde. Um offen zu sein ich stimmte nicht mit dieser Entscheidung überein wegen meiner Angst, sie
beide zu verlieren.
Am 22. Februar begannen wir, die Geburt mit Prostaglandingel und Pitocin einzuleiten. Die ärztin erwartete, das das Baby
unmittelbar Probleme bekommen würde, aber Samuel hatte ein sehr starkes Herz und überlebte eine Woche von Einleitungsversuchen.
Schliesslich sprengte die ärztin am 1. März die Fruchtblase in einem letzten Versuch, die Geburt mit Pitocin einzuleiten.
Ich kann es nur als Gottes fürsorgliche Hand bezeichnen, dass die Einleitung nicht erfolgreich war und wir einen Kaiserschnitt
durchführen mussten um Lisas Gesundheit willen, denn wir riskierten eine Infektion für Mutter und Kind mit den gerissenen
Membranen innerhalb von 24 Stunden. Dies nahm mir die Furcht und versicherte mich, dass Samuel die besten Chancen erhielt,
lebendig geboren zu werden.
Samuel wurde in der Gegenwart seiner Eltern und seiner Grossmutter geboren. Er gab gleich nach der Geburt einen
schwachen Schrei von sich und brauchte nur wenig Hilfe vom Kinderarzt, um in einen Atemrhythmus zu kommen. Seinen
Schrei zu hören, versicherte seiner Mutter und mir, dass alles in Ordnung sein würde. Er verbrachte die nächsten
Minuten in der Nähe seiner Mutter, während der Arzt die Operation zu Ende führte.
Im Erholungszimmer brachte unser Pastor Samuel dem Herrn dar. In Gegenwart unserer Freunde dankten wir Gott für sein
Leben und legten wieder die Situation in Seine Hände. Für die nächsten 27 Stunden und 31 Minuten zeigte und Samuel die
Freude am Leben und an der Elternschaft.
Wir beobachteten, wie er Farbe bekam nach der Geburt. Ich wechselte seine Windeln. Wir erlebten seine verschiedenen
Geräusche und Laute.
Wir machte Gipsabdrücke seiner Füsse. Wir zählten seine Zehen und Finger. Er war in jeder anderen Hinsicht ein perfektes
Baby. Wir riefen Freunde und Familie an, um seine Geburt mitzuteilen. Wir machten den grössten Teil des Tages Bilder
und filmten ihn. Er schlief im Arm seiner Mutter und weckte sie ab und zu mit einem Laut oder einer leichten Bewegung.
Seine Mutter und ich ruhten den nächsten Morgen, während seine Grossmutter für dreieinhalb Stunden auf ihn aufpasste.
Samuel starb am 3. März 1995 um 16:45 Uhr im Arm seiner Mutter und meinem Arm.
Warum kam Samuel in diese Welt und verliess sie so schnell wieder? Ich bin mir nicht sicher, und nur Gott kann solch
eine Frage beantworten, aber um mich zu trösten, glaube ich, dass es Samuels Aufgabe war, den Menschen um ihn herum zu
dienen. Er diente mir, er diente Lisa, er diente unserer Bibelstudiengruppe und anderen in der Gemeinde. Er stärkte
unsere Liebe und unseren Glauben an Gott und ich glaube, dass er mithalf, dass andere zu Christus fanden. Er bekam die
Aufmerksamkeit vieler ärzte und Krankenschwestern. Er war wirklich ein Segen von Gott und bewies, dass das Leben, wie
kurz und beladen es auch sein mag, wertvoll und heilig ist. Und zu denken, dass er all das in so einer kurzen Zeit tat,
hat er die Zeit gut ausgenutzt.
Ich vermisse ihn, aber ich bin sicher, dass ich ihn eines Tages wiedersehen werde. Er zeigte mir eine Liebe, die ich
niemals verstanden habe, und ich danke ihm und danke Gott für sein Leben. Ich hoffe nur, dass er sagt, wenn ich ihn
wiedersehe: "Danke, dass du mir Liebe gezeigt hast."
Copyright 1995 by Bryan A. Woodruff.
Aus dem Amerikanischen übersetzt mit Erlaubnis der Anencephaly Support Foundation
Letzte Aktualisierung dieser Seite: 26.02.2019