Benedict Oliver
25.7.2001 - 26.7.2001
Ich muss diese Geschichte fast fünf Jahre vor Benedicts Geburt beginnen, als meine Schwester und
ihr Mann während dem Routineultraschalluntersuch in der 18. Schwangerschaftswoche entdeckten,
dass ihr erstes Baby sterben würde.
Thomas Walter hatte Anenzephalie, ein Neuralrohrdefekt, bei dem das obere Ende der Wirbelsäule
(der Schädel) nicht geschlossen ist. Wir waren alle völlig schockiert, vor allem Clare und Tom.
Sie entschlossen sich, gegen den Rat der Ärzte, ihren Sohn Thomas Walter liebevoll bis zum Ende
der Schwangerschaft auszutragen - ihn zu lieben während der kurzen Zeit, die sie zusammen verbringen würden.
Die Geburt wurde in der 37. Schwangerschaftswoche eingeleitet und Thomas Walter kam zur Welt. Er lebte
während 17 ½ Stunden, in denen er von vielen Freunden, Onkeln und Tanten besucht und getragen wurde,
so auch von uns, Mark und mir.
Mark und ich heirateten weniger als zwei Monate nach Thomas Walters Geburt und Tod. Sehr schnell
erwarteten wir selber unser erstes Baby. Ich war sehr nervös beim ersten Ultraschall. Glücklicherweise
war alles in Ordnung und wir bekamen unser wunderhübsches Mädchen, Cecilia. Zwei Jahre später kam
Sebastian zur Welt. Im Jahre 2000 waren wir sehr gespannt, denn wir erwarteten unser drittes Kind.
Der Geburtstermin war auf den 17. Juli 2001 angesagt.
Beim Ultraschalluntersuch in der 18. Woche fühlte ich mich sehr unwohl. Ich hatte gar keine richtigen Kindsbewegungen
gespürt, was sonderbar war, denn Sebastian spürte ich damals schon ab der 12. Woche. Ich mache mir normalerweise nicht
schnell Sorgen, aber dieses Gefühl des Unwohlseins liess sich einfach nicht abschütteln. Ich glaube, dass ich in meinem
Unterbewusstsein fühlte, dass etwas nicht stimmte. Beim ersten Untersuch glaubte ich in der 12. anstatt in der 13. Woche zu
sein. Die Woche vor dem Ultraschall ertappte ich mich dabei, dass ich tagträumte: "ich ging ans Telefon um mit Clare zu
sprechen und sagte ihr: es ist auch uns passiert." Ich fragte mich selber "wieso denke ich das?" denn am Tag vor dem
Ultraschall hatte ich den monatlichen Hebammenbesuch in der Klinik und die Hebamme liess mich den Herzschlag des Babys
hören. Oh, wie war ich erleichtert!!
Am nächsten Tag, dem Valentinstag, gingen wir ohne Furcht, nur aufgeregt, in die Klinik um unsern ersten Blick auf unser Baby zu werfen.
Der Untersuch begann nicht gut. Wir hatten uns beeilt, am Morgen aus dem Haus zu kommen, und hatten darüber die
Einweisung vergessen. Die zuständige Ultraschalltechnikerin zögerte, den Untersuch durchzuführen ohne dieses Formular.
Ich war so enttäuscht. Ich war so gespannt, unser Baby zum ersten Mal zu sehen! Schlussendlich war sie dennoch einverstanden
den Ultraschall durchzuführen, unter der Bedingung, danach sofort nach den Einweis zu Hause zu holen und ihr zu bringen.
Ich war so aufgeregt als ich mich hinlegte und auf den Beginn des Untersuchs wartete. Ich wusste, dass mein Baby lebte.
Erst gestern hatte ich seinen Herzschlag gehört, was konnte jetzt noch schieflaufen? Als die Technikerin mit den Messungen
begann, zeigte sie uns als erstes, dass die Plazenta über dem Muttermund lag - eine sogenannte Plazenta previa - was
bedeutete, dass wahrscheinlich ein Kaiserschnitt durchgeführt werden müsste. Sie erklärte uns, dass das nicht unbedingt
ein Problem sein müsse. Es käme darauf an, wie sich die Gebärmutter während des weiteren Verlaufs der Schwangerschaft
dehnen würde, die Plazenta könne noch wandern und so am Ende nicht mehr über dem Muttermund liegen.
Dann begann sie das Baby zu untersuchen und wurde sehr schweigsam. Sie zeigte uns ohne Begeisterung seine Füsse, aber
sagte dabei fast nichts. Ich fand dies sonderbar, denn eben noch war sie so redselig wegen der Plazenta gewesen. Nach
ein paar Minuten sagte sie, es täte ihr leid, aber Mark müsse nun doch sofort nach Hause gehen, um den Einweis zu holen.
Ich dachte "es muss wirklich etwas nicht stimmen, dass sie Mark nach Hause schickt, so mitten des Untersuchs."
Mehr als eine halbe Stunde lang sass ich im Wartesaal bevor Mark wieder zurück war. Es war eine sehr lange halbe Stunde! Die Technikerin
kam, um zu sehen, ob Mark schon zurück sei und sagte dabei: "Ich werde nur noch jemand anderem die Bilder zeigen. Sie müssen aber
deshalb nicht in Panik geraten." Was mich natürlich besonders in Panik versetzte.
Während dem Untersuch zuvor war der Bildschirm mir nicht ganz zugewandt gewesen, ich konnte aber trotzdem erkennen, dass sie das Gesicht
betrachtete. "Was mag los sein?" dachte ich, "hat mein Baby etwa keine Nase oder so?" Aber tief in mir schrie es "Anenzephalie,
Anenzephalie, Anenzephalie, ...", immer und immer wieder. Ich konnte es nicht erwarten, bis Mark endlich zurückkommen würde, er schien
eine Ewigkeit auf sich warten zu lassen. Als er schliesslich da war, gingen wir mit der Technikerin und ihrem Vorgesetzten in den
Untersuchsraum zurück. Sie zeigte ihm die Lage der Plazenta, worauf er uns ihre Ausführungen von vorher wiederholte. Dann machte er
selber noch ein paar weitere Aufnahmen. Schliesslich drehte er sich zu uns und sagte: "Nun, es besteht ein Problem mit dem ... Fötus.
Wir werden ein paar Leute von der Gynäkologie holen, um Ihnen das alles zu erklären. Es ist vielleicht das Beste, Sie heben sich Ihre
Fragen bis dann auf." Seit seinem kurzen Zögern bevor er das Wort Fötus sagte, wusste ich das etwas wirklich schlimm war. Sonst hätte er
Baby gesagt. Ich war verärgert, dass mein Baby nicht die gleiche Behandlung bekommen würde, nur weil etwas mit ihm nicht stimmte. Ich
wünschte, ich hätte einfach gesagt: "Ist es Anenzephalie?", aber stattdessen weinte ich und liess uns widerstandslos in einen anderen
Warteraum führen. In diesem Raum war es sehr, sehr kalt. Ich wiederholte Mark: "Es muss ja nichts fatales sein, es könnte irgendetwas
sein... ein Herzproblem, oder die Nieren oder die Lungen." Ich wünschte mir, sie hätten uns geradeaus die Wahrheit gesagt.
Mehr als 45 Minuten lang warteten wir dort auf jemanden, der uns sagen würde was nicht stimmte. Während dieser Zeit machte
sich meine Fantasie selbstständig. Eine Ärztin würde reinkommen und sagen: " Es tut mir leid, Ihr Kind hat Trisomie 21."
Und ich würde antworten: "Oh, das ist schon in Ordnung! Ich dachte, sie würden uns mitteilen, unser Baby würde sterben..."
Dann würde ich meine Handtasche nehmen und wir würden zu unserem geplanten Valentinsmittagessen gehen!
Als sie endlich hereinkam, setzte sich die Ärztin und fragte uns, ob man uns gesagt hätte, was nicht in Ordnung sei.
Wir beneinten und sie begann zu erklären: "Da ist ein Problem mit dem Schädel des Babys..."
Ich schnappte nach Luft und versteckte mein Gesicht in meinen Händen. So viele Bilder gingen mir durch's Gedächtnis.
Thomas Walter der meinen Finger drückte, als ich ihn in meinen Armen hielt... seine Beerdigung... sein kleiner Sarg,
der in die Erde sank... als ich meine Schwester umarmte... jemand der mir sagte: "Wenn das jemandem passieren sollte,
so ist Clare jene, die es am besten meistern kann." Diese Aussage blieb mir in Erinnerung, so sonderbar erschien sie mir.
Mark sagte: "Meinen Sie Anenzephalie?" Sie sagte ja und fragte uns ob wir wüssten, was es sei. Mark erzählte von
Thomas Walter. Sie fragte uns, wann seine Geburt eingeleitet worden sei, und fügte hinzu, es gäbe zwei Möglichkeiten.
Wir könnten mit der Schwangerschaft weiterfahren, so wie Clare und Tom, oder wir könnten sie abbrechen. Ich sagte: "Nein,
das machen wir nicht." Und von diesem Moment an verspürten wir nie einen Druck auf uns. Ich bin sicher, dass unser
früheres Erlebnis mit Anencephalie uns beschützt hat vor Druck und falscher Information, denen viele andere betroffene
Eltern ausgesetzt sind während ihrer Schwangerschaft.
Als wir nach Hause kamen, fragte Cecilia (3 Jahre alt), ob sie das Foto von unserem Baby sehen dürfe. Ich sagte: "sie
gaben mir keines, ich muss das nächste Mal darum bitten." Sie sagte: "Bist du ein bisschen traurig Mama?" Und ich
antwortete: "Ja, unser Baby ist ein bisschen krank, der Kopf tut ihm weh." Darauf hätschelte sie mich. Ich fragte mich,
wie wir ihr erklären würden, das unser so sehnsüchtig erwartetes Baby sterben würde.
Die nächsten paar Wochen bleiben mir nur verschwommen in Erinnerung. Unsere beider Familien waren in grossem Schmerz für
uns. Sie waren uns eine grosse Stütze und halfen uns auf verschiedene praktische Weisen. Zum Beispiel mit Kochen oder
Babysitting, oder einfach dadurch, dass sie für uns da waren. Ich las alle Erlebnisberichte, die ich im Internet finden
konnte, von Familien, die ein Babies mit Anenzephalie bis zum Geburtstermin ausgetragen hatten. Ich fand diese Geschichten
sehr traurig, aber zugleich gaben sie mir neuen Mut. Sie zeigten mir, wie wundervoll das Leben dieser Babies war - wenn
noch so kurz. Ich las über die verschiedenen wunderbaren Art und Weisen, die diese Familien fanden, um sich an das kurze
Leben ihrer Babies erinnern zu können. Auch wenn mich diese Erzählungen zum Weinen brachten, war es ein gesundes, gutes
Weinen. Ich musste weinen - mir wurde schliesslich vor Kurzem gesagt, dass mein Baby sterben würde!
Uns wurde bei diesem ersten Ultraschall nicht mitgeteilt, ob es sich um ein Mädchen oder einen Jungen handelte. So
vereinbarten wir einen neuen Termin. Dieser zweite Ultraschall wurde auf eine Videokassette aufgenommen. Wir suchten in
unserem Vornamenbuch einen geeigneten Namen, einen der uns gefiel, aber auch eine spezielle Bedeutung hat. Als uns die
Ultraschalltechnikerin sagte, wir bekämen einen Jungen, war ich so glücklich, dass ich Benedict (Segen) Oliver (Frieden)
in mir tragen durfte.
Sofort nach der Diagnose dachte ich, die 4½ verbleibenden Monate würden unendlich lang sein. Wie würde es mir möglich
sein, all das durchzustehen ? Doch dann war ich völlig beschäftigt mit all unseren Plänen und Vorkehrungen, die wir
trafen. Wenn ich zurückschaue, scheint es einen kurze Zeit gewesen zu sein.
Wir hatten monatliche Treffen mit den Hebammen der Klinik. Maggie, unsere Hebamme, war einer unserer ersten Segen
der uns begegnete. Von Anfang an war sie bereit zu tun, was auch immer uns helfen würde in der Vorbereitung auf
Benedicts Geburt und Tod. Sie schlug uns vor, jede Woche vorbeizukommen um Benedicts Herzschlag zu hören, wenn wir
das wollten. Sie war so offen uns in jeder Art und Weise zu helfen. Sie gab zu, noch nie in derselben Situation
gewesen zu sein, sie wolle sich von unseren Bedürfnissen leiten lassen. Neben der echten Fürsorge, die sie uns zukommen
liess, war sie auch da als Vermittler, was Formulare, Kopien usw. für die Geburt in der Klinik anging.
In diesen ersten Wochen sammelten wir Ideen von Internet-Seiten anderer betroffener Eltern. Ich begann, eine Liste von
Dingen niederzuschreiben, die mir wichtig schienen, um später so viele Erinnerungen wie möglich zu haben. Wir fertigten
eine "Geburtsanzeige" an, welche sagte:
"Mark und Theresa Streckfuss sind gesegnet worden mit einem kleinen Jungen
Benedict Oliver.
Er wird auf den 17. Juli 2001 erwartet.
Ein wertvoller Bruder für Cecilia und Sebastian.
Bitte betet für uns, denn er leidet an Anenzephalie und wird nicht lange bei uns sein."
Wir verschickten die Anzeige an unsere Familie, Verwandte und Freunde im Monat nach der Diagnose. Es gab
dafür verschiedene Gründe; der erste war, um Gebetsunterstützung zu erhalten, dann um über Benedicts Anenzephalie
zu informieren, aber es war mir auch sehr wichtig, dass er nicht vergessen werden würde. Ich wollte nicht,
dass die Leute so tun würden, als sei ich nie schwanger gewesen.
Ich fand auch eine Selbsthilfegruppe im Internet. Ich lernte so viel von diesen wunderbaren Menschen. Sie hatte damals
mehr als 100 Mitglieder, meist Mütter, aber auch ein paar Väter, die ein Baby an Anenzephalie verloren hatten. Aber auch
Eltern, die noch während der Schwangerschaft beitraten. Ich denke, dass diese Gruppe das war, was mir damals am meisten
geholfen hat. Es tat so gut, alle paar Tage durch meinen Computer in Kontakt zu anderen Menschen treten zu können, die
dasselbe wie wir erlebt hatten. Wir konnten miteinander "reden", Ideen austauschen und ich bekam Antworten auf meine
Fragen.
Ich hatte Plazenta previa 4. Grades. Dies verursachte immer wieder kleine Blutungen, die
Krankenhausaufenthalte von 2-4 Tagen nötig machten. Zwischen der 28. und der 36. Schwangerschaftswoche war ich sieben
Mal in der Klinik. Das stellte sich auch als einen Segen heraus, weil ich so in Kontakt kam mit vielem
Krankenhauspersonal, bevor Benedict geboren wurde. Ich war keine Unbekannte mehr in der Klinik und mir war das
Personal auch nicht mehr unbekannt. Mark liess sich von seiner Arbeit freistellen, was dank einer staatlichen
Krankenunterstützung (Australien) möglich war, und kümmerte sich um die Kinder. Das war sehr gut, so konnte auch er
sich auf Benedict konzentrieren.
In der Klinik bekam Benedict den Ruf "Verstecken" zu spielen mit dem Ultraschallgerät. Jedes Mal, wenn sie probieren
wollten, ihn zu untersuchen, gab er ein paar Fusstritte und "verschwand". Es brauchte oft mehrere Minuten bis sie ihn
wieder recht auf den Bildschirm brachten. Maggie brauchte den Ausdruck, dass er sich im "Hinterstübchen" versteckte - etwas
wie eine geheime Abteilung.
Auf eine gewisse Art machten mir diese Klinikaufenthalte nichts aus, weil ich drei Mal am
Tag Benedicts Herzschlag hören und dabei seine Tritte spüren konnte. Weil die Plazenta den Muttermund vollständig
bedeckte, würde ich einen Kaiserschnitt in der 37. Woche benötigen. Dies war ein anderer "verkleideter" Segen. Ich
wollte sowieso einen Kaiserschnitt, denn in einer Statistik hatte ich gelesen, dass Babies mit Anenzephalie, die vaginal zur
Welt kommen nur 50% Ueberlebenschancen hätten. Ich konnte mir nicht vorstellen, die ganze Geburtsarbeit zu leisten, um
Benedict tot auf die Welt zu bringen. Ich wollte zuerst "Hallo" sagen können bevor ich Abschied nehmen musste. Um das
sicher zu stellen, musste ein Kaiserschnitt durchgeführt werden. Ich bin mir nicht sicher, ob die Ärzte dies akzeptiert
hätten ohne den Befund der Plazenta previa. Es war so wichtig für uns, dass Benedict lebend zur Welt kam.
Benedict Oliver wurde am Montag, dem 25. Juni, um 13:52 Uhr geboren. Er lebte während 24 Stunden und 13 Minuten und
starb am Dienstag um 14:05 Uhr.
Ich glaube nicht, dass ich Ihnen erzählen kann, wie wundervoll er war, oder wie süss er duftete, oder wie sehr ich mir
wünschte, dass diese Stunden stehenbleiben würden. Er hatte das winzige kleine Käppchen an, das man ihm in der Klinik
gegeben hatte. Ich dachte, es sei viel zu klein, aber es passte ihm wie angegossen. Sein Gesicht war so süss, er sah
genau gleich aus wie unsere anderen Kinder bei der Geburt. Er war so perfekt! Er wog nur 2600g aber er war sehr
pausbäckig und mass 46 cm. Er schrie bei der Geburt und auch nachher einige Male in seinem Leben. Kein lauter, gesunder
Babyschrei aber trotzdem ein Schrei. Er gurrte und machte ein sanftes "Pah-pah-Geräusch" wenn er atmete. Er hatte
hellbraunes Haar, war kitzlig an seinen Füssen, und einmal nuckelte er sogar an seinem Daumen während einer Viertelstunde!!
Wir machten so viele Fotos von ihm, etwa 13 Filme während er lebte. Wir machten sowohl Schwarz-weiss- als auch
Farbbilder, und ich bin so froh, dass wir beides haben.
Die Zeit, die wir zusammen verbrachten war so wertvoll. Wir hatten einen Priester organisiert, der gleichzeitig unser
Freund ist, um bei der Geburt dabeizusein. Sobald Benedict zur Welt kam, wurde er getauft und konfirmiert. Herr Colin
war uns eine grosse Stütze. Wir sahen uns bereits währen der Schwangerschaft, er segnete mich und begleitete uns in
allen Vorbereitungen. Als die Taufe und damit seine Aufgabe als Priester vorbei war, nahm er den Fotoapparat und machte
Fotos für uns.
Das Personal war wunderbar. Das Operationsteam war wunderbar - manche weinten, einige beteten, andere
strichen mir über den Kopf, während Benedict zur Welt kam. Ich war so glücklich, ihn endlich sehen zu können. Ich
erinnere mich, dass die Anästhesistin zu mir sagte: "Er ist schon ein kleiner Heiliger, nicht wahr? Er ist getauft und
konfirimiert worden - er ist perfekt!" Ich fand das so süss von ihr! Als wir wieder zurück auf die Abteilung kamen,
waren die Hebammen so nett zu mir. Sie liessen uns so viel wie möglich allein und kamen nur ab und zu herein, um ihre
Kontrollen zu machen. Sie kümmerten sich so gut um uns. Benedict war nicht imstande an der Brust zu trinken, so halfen
die Hebammen mir Kollostrum auszustreichen, damit wir es ihm mit dem Löffel geben konnten. So bekam er drei Mahlzeiten
in seinem Leben. Ich glaube nicht, dass er jemals hungrig war, aber ich bin dankbar, dass ich ihn auf diese Weise
ernähren konnte. Ein paar Tage später, nachdem er gestorben war und ich den Milcheinschuss hatte, wünschte ich mir er
hätte lange genug gelebt, um diese Milch trinken zu können. Doch gleichzeitig war ich auch dankbar, dass er wenigstens
etwas von meinem Kollostrum bekommen hatte.
Ich habe nichts als Lob für die Hebammen und Krankenschwestern, die uns vor und nach Benedicts Geburt pflegten. Sie
kümmerten sich mit so viel Liebe um ihn und zollten ihm den Respekt, den er verdiente. Maggie, die wir während unserem
postnatalen Besuch wieder sahen, war wunderbar. Sie war auch während dem Kaiserschnitt anwesend, obwohl sie an diesem
Tag eigentlich frei hatte - sie war einfach da als eine unterstützende Person. Sie kam auch zu Benedicts Beerdigung mit
ein paar der anderen Hebammen.
Ein Berufsfotograph kam am Montagnachmittag vorbei. Das hatten wir nicht selber organisiert. Jedesmal, wenn in dieser
Klinik ein Baby totgeboren wird oder sterbenskrank ist, kommt dieser Fotograph und macht kostenlose Fotos - zu welcher
Tageszeit auch immer. Wir sind ihm sehr dankbar für diese Dienstleistung. Er nahm ein paar wunderschöne Bilder von
Benedicts Händen und Füssen auf, andere von Mark und mir mit unserem Baby in den Armen. Das war besonders gut, denn da
Mark fast alle anderen Fotos gemacht hatte, war er selber praktisch nie abgebildet. Derselbe Fotograph macht auch die
Klinikfotos der gesunden Babies, und weil er am nächsten Tag wieder in der Klinik war, brachte er uns die Fotos schon
dann! Es tat gut diese Fotos gerade an diesem Nachmittag ansehen zu können, nachdem Benedict gestorben war.
Wir hatten auch eine Frau, die vorbeikam, um Fuss- und Handabdrücke von Benedict zu machen. Sie hatte wunderbare Arbeit
geleistet, die Abdrücke sind so klar, dass man die Fingernägel, Falten und Runzeln darauf sehen kann.
Benedict bekam sehr viel Besuch. Er traf Cecilia und Sebastian, beide Grosselternpaare, alle 14 Onkel und Tanten, 21
seiner 24 Neffen und Nichten, seine Patentante und einen anderen Freund von uns, der auch Priester ist. Einer seiner
Neffen brachte sogar seine Seifenblasen mit in die Klinik und blas Seifenblasen für ihn! Nach etwa 22 Uhr hatten wir
uns für uns alleine. Es war so schön, diese Zeit nur für uns drei zu haben! Wir waren unsagbar müde, aber wir wollten
nicht schlafen, wir wollten keinen Augenblick mit ihm versäumen. Ich setzte mir immer wieder kleine Ziele für ihn, bitte
halte durch bis Mittag, bitte schaff es bis 17½ Stunden (Thomas Walter's Lebenszeit), bitte bis Morgen... Ich war so
stolz auf ihn, dass er so lange lebte. Ich wollte sagen können, dass er einen ganzen Tag gelebt habe. Schlussendlich
waren wir so erschöpft, dass wir uns abwechselten, einer döste vor sich hin, während der andere wachte. Aber ich hatte
einen so leichten Schlaf, dass ich jedesmal aufwachte, wen er sich bewegte. Wir beide sangen ihm vor, Mark las ihm vor,
aber meistens hielten wir ihn einfach und liebten ihn.
Die Krankenschwestern erklärten uns, dass sich seine Hautfarbe mit seinem zunehmenden Schwächzustand verändern würde.
Sie hörten nicht auf, uns zu sagen, wie gut er aussehe. Er begann am Dienstagmorgen Atemstillstände zu haben, aber seine
Farbe wurde immer wieder normal. Als er dann gestorben war (ohne dass sich seine Hautfarbe geändert hätte), kam eine
Krankenschwester herein. Ich glaube, sie fühlte sich nicht gut und sagte uns, sie hätte gedacht er würde länger leben.
Darauf antwortete ich, es sei schon in Ordnung, er habe mehr als 24 Stunden lang gelebt, was viel mehr sei, als wir
gehofft hatten. Wir waren so dankbar für die Zeit, die uns mit Benedict geschenkt worden war. Nachdem er gestorben war,
badeten wir ihn und kleideten ihn an.Wir nahmen noch mehr Fotos auf, und wir filmten ihn während des Badens. So würden
wir später in Ruhe seinen ganzen Körper ansehen können. Wir behielten seinen Körper bei uns während der Nacht und bis
ihn der Bestattungsunternehmer am Mittwochnachmittag holte. Mark konnte bei mir bleiben während des ganzen
Klinikaufenthaltes.
Es war schön, dass wir dort zusammen trauern konnten. Wir gingen am Donnerstagmorgen nach Hause und verbrachten den
ganzen Abend damit das Büchlein zusammenzustellen, das wir für die Beerdigung machen wollten. Wir brauchten eine geraume
Zeit dafür, doch ich war sehr zufrieden mit dem Endresultat. Auf der Aussenseit war ein Foto von Benedicts Gesicht,
innen einer seiner Füsse und auf der Hinterseite stand ein Gedicht. Ich hatte den Text schon vor seiner Geburt vorbereitet,
so mussten wir nur noch die Daten ergänzen. Ich war froh, den Grossteil der Arbeit schon in vornherein gemacht zu haben.
Als er dann geboren war, konnten wir uns nur auf ihn konzentrieren, und mussten uns keine Sorgen machen.
Am Freitagabend durften wir seinen Körper nach Hause nehmen und unsere Familien und Verwandten kamen vorbei, um Abschied
zu nehmen. Ich machte mir Sorgen um Cecilia und Sebastian, wie sie alles aufnehmen würden. Aber es ging wirklich alles
gut. Die paar Augenblicke, die sie ihn in der Klinik gesehen hatten, waren zu kurz gewesen und es gab zu viele
Ablenkungen. Wir haben wunderbare Videoaufnahmen auf denen Sebastian Benedict voller Eifer wiegt und dabei inbrünstig
singt: "Baby, baby, baby" (bay-bee, bay-bee, bay-bee). Cecilia sang für ihren Bruder am Morgen und wollte klarstellen,
dass er alle seine Teddybären bei sich hatte. Sie kümmert sich nun um diese Bären.
Benedict verbrachte diese Nacht neben uns in seiner Wiege und am Morgen zog ich ihm die Kleider an, die ich speziell
für die Beerdigung gekauft hatte. Es war sehr hart, ihn zum letzen Mal einzuwickeln und in den Sarg zu legen. Es war
noch schwieriger, den Deckel zu schliessen mit dem Wissen, dass ich nie wieder sein niedliches Gesicht sehen würde.
Ich bin so dankbar, so viele Fotos zu haben, ich schaue sie mir oft an.
Wir legten viele Gegenstände neben Benedict in den Sarg: einen Hasen, die Hälfte eines speziellen Anhängers (ich trage
die andere Hälfte an einer Halskette), einen Rosenkranz, ein Amulett, welches bei der Taufe an seiner Decke befestigt
wurde, einen Schutzengelpin, einen Brief seiner Patentante, eine Zeichnung von Cecilia, je eine Haarlocke von Cecilia,
Sebastian, Mark und mir. Er wurde liebevoll eingewickelt in eine Decke, die ich ihm genäht hatte. Wir brachten ihn mit
unserem Auto zur Kirche und es war sehr traurig zu wissen, dass es das einzige Mal war, dass wir alle 5 im Auto zusammen fahren würden.
Die Beerdigung war nicht so schwer zu meistern, wie ich erwartet hatte. Normalerweise bringen mich Beerdigungen
sehr durcheinander und das, dachte ich, würde auch an der Beerdigung unseres Sohnes der Fall sein. Ich
denke, dass normalerweise die Beerdigung der "Kummerort" ist, wo um die Toten getrauert wird. Aber unsere Trauer begann
vier Monate früher. So empfand ich die Beerdigung als nicht so intensiv als erwartet. Natürlich war ich traurig, aber
nicht hysterisch, wie ich gedacht hätte. Benedict ist nun neben Thomas Walter begraben auf dem kleinen Friedhof unseres
Wohnortes. Es ist sehr traurig auf den Friedhof zu gehen und sein kleines Grab zu sehen, aber ich bin froh, dass er
gleich neben seinem Neffen liegt. Es ist ein Trost, sie nebeneinander zu wissen, vor allem weil sie doch an der gleichen
Missbildung gestorben sind. Benedict und Thomas Walter haben einen anderen Babyneffen, Peter Francis, der auch in der
Nähe begraben wurde, es ist schön zu wissen, dass alle drei zusammen sind.
Sie sind vielleicht erstaunt, wenn ich meinen Sohn als "wunderhübsch" und "perfekt" bezeichne, wo er doch an
Anenzephalie litt, einem gut sichtbaren Defekt. Aber er WAR wunderhübsch und perfekt, und alle anderen netten Ausdrücke,
die man für ein süsses Baby braucht. Er war mein Sohn!!! Ich liebe Cecilia und Sebastian auch nicht,
weil sie gesund sind, ich liebe sie, weil sie meine Kinder sind. Ich vermisse ihn sehr, doch ich würde sein kurzes
Leben für nichts auf der Welt eintauschen. Und auch wenn dieses Erlebnis das schmerzvollste Erlebnis war, das ich je
erlebt habe, ist es wahrscheinlich auch das schönste. Benedict hat sein ganzes Leben in den Armen von Menschen
verbracht, die ihn liebten - wer kann ein besseres Leben fordern ?
Theresa Streckfuss
Lesen Sie auch die Geschichte von Benedicts kleiner Schwester Charlotte.
Homepage in Englisch mit Kontaktmöglichkeit zu den Eltern
Letzte Aktualisierung dieser Seite: 20.02.2019