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Als Hebamme eine von Anenzephalie betroffene Familie begleiten

 

Was bedeutet es für mich als Hebamme, diese Familie zu begleiten?

von Corinne Meyer, Hebamme


Meine erste Reaktion war Mitgefühl.

Man kann nach einer solchen Neuigkeit nicht unsensibel bleiben, und ich denke, dass wir als Professionelle "weinen mit jenen die weinen" können.

Danach kam die Suche nach Informationen.

Während meiner Ausbildung lehrte man uns, dass Kinder mit Anenzephalie nicht lebensfähig seien, deshalb wurde ein solches Kind systematisch sofort nach der Ultraschalldiagnose abgetrieben. Es gehörte also zu den Pathologien, die wir zum Glück nicht mehr zu Gesicht bekamen. Ich suchte in der medizinischen Literatur und im Internet, bekam jedoch immer nur die selben Informationen, die nach der Ultraschalldiagnose aufhörten. Ich hatte jedoch von einer Familie in den USA gehört, die die Schwangerschaft nicht unterbrochen hatte. So suchte ich weiter, und fand im Internet eine Homepage von Eltern Kindern mit Anenzephalie, die ihre Erfahrungen mit diesen Kindern beschrieben.

Eine Wahl war also möglich. Ich denke, dass wir Eltern mit realistischen Informationen bei ihrer Wahl begleiten müssen. Ihnen zu helfen, das Für und Wider einer Weiterführung der Schwangerschaft abzuwägen. Diese Situation berührt nicht nur den medizinischen Bereich, sondern auch seine eigene Lebensphilosophie und Ethik. Es ist also wichtig für die Eltern, dass wir uns auch diese Gesichtspunkte anhören und uns nicht mit unseren Werten an den Platz der Eltern versetzen. Da diese Situation auch Rückwirkungen auf alle anderen Familienmitglieder hat, ist es wichtig, die Grenzen eines jeden in Betracht zu ziehen.

Die Geburtsvorbereitung wird deshalb mehr auf die Gefühle jedes Familienmitglieds (auch der erweiterten Familie) ausgerichtet, auf ihre Interaktionen. Es schien mir wichtig, den Rhythmus jedes einzelnen zu respektieren, in der Weise, wie sie die Situation akzeptierten und den Trauerprozess angingen.

Ein Teil der Geburtsvorbereitung ist derselbe wie bei jeder anderen Familie. Es ist unerlässlich, dies zu machen, denn die Frau ist schwanger und erwartet ein Kind. Sie hat dieselben Fragen, wie für ihre anderen Schwangerschaften, das gleiche Bedürfnis eine gewisse Normalität mit anderen Schwangeren zu teilen.

Zum richtigen Zeitpunkt ist es jedoch wichtig, die Fehlbildung des Kindes zu erörtern, wie damit umgegangen werden kann. Auch Einzelheiten über die Trauer. Es ist wichtig, diese Dinge vorzubereiten, denn die Stunden rund um die Geburt vergehen sehr schnell und emotionsreich. Ein Ereignis gibt dem nächsten die Hand.

Diese Zweiheit einer einerseits normalen und doch sehr speziellen Situation, bleibt während der ganzen Pflege während und nach der Geburt präsent. Jedes Mal müssen wir so genau wie möglich informieren, und den Eltern die Wahl lassen: Ist es besser, die Geburt einzuleiten, oder zu warten ? Beim Milcheinschuss nach dem Tod und dem Abstillen, soll man erneut Medikamente geben, oder diese Zeichen als normal annehmen ? Es ist wichtig, dass die Familie Zeit hat ihre Antwort zu finden. Jede Familie hat verschiede Mittel.

Es ist wichtig, der Mutter dieselbe Pflege zu geben, auch wenn das Neugeborenen gestorben ist und auch wenn sie das Krankenhaus schnell verlassen hat und keine grossen medizinischen Problem aufweist. Die Zeit des Post-Parthums dauert an, bis die Familie sich wieder der Zukunft zuwenden kann.

 

 

Respektvoll arbeiten als Hebamme

von Anne Michaud, Hebamme


Als Hebamme auf der Entbindungsstation des Centre Hôspitalier Universitaire Vaudois (CHUV) habe ich von der Familie Jaquier gehört. Das Paar wollte sein Baby mit Anenzephalie austragen. Der behandelnde Arzt informierte das Personal der Entbindungsstation mit viel Achtung für die Eltern.

In der Krankenhauscharta steht unter den Rechten und Pflichten der Mitarbeiter: "Sie haben die Pflicht, gemäss der ethischen Regeln und der Pflichtlehre zu arbeiten, in Zusammenarbeit und gegenseitigem Respekt..." Und jene der Patienten: "...sie haben das Recht auf angemessene Pflege, die ihre Person, ihre moralischen, kulturellen und spirituellen Werte respektiert, auf eine Behandlung in Zusammenarbeit..."
Zu einer Zeit, in der die "soziale Norm" in die Richtung eines Schwangerschaftsabbruches bei einer schweren Pathologie des Fötus tendiert, wurde der Bitte dieses Paares nachgegeben und geachtet - ganz im Sinne der in der Krankenhauscharta verteidigten Werte.

Die Geburt von Frau Jaquier wurde auf ihre Bitte hin am Entbindungstermin eingeleitet. Es ist selten, dass die Geburt eines Babys mit Anenzephalie spontan eintritt. Es scheint dass "der Fötus sich an der Auslösung der Geburt mittels seiner Hypophyse und den Nebennieren beteiligt, wie es die Verlängerungen der Schwangerschaft bei Anencephalen, bei denen diese Drüsen atrophisch sind, zu bestätigen scheinen." (Précis d'obstétrique, R. Merger, J. Lévy, J. Melchior, Mosson, 1985). Die Wehen haben schnell begonnen, und wir haben Frau Jaquier am Nachmittag im Gebärsaal empfangen als ihr Muttermund bereits eine öffnung von 7 cm aufwies. Sie gab uns kleine Käppchen verschiedener Grössen, um eines dem Baby anzuziehen, bevor wir es ihr in die Arme legen würden. Sie gebar ihr Baby in Anwesenheit von zwei Hebammen und zwei ärzten, in einem Klima "religiöser Ruhe". Ich habe ihr Baby auf den Reanimationswagen genommen um es zu trocknen und ihm ein Käppchen anzuziehen. Sie hat spontan geatmet. Rasch konnte ich sie ihrer Mutter geben.

Die Aufnahme dieses Kindes hat mich beeindruckt. Wie ein neu zu entdeckendes Wesen wurde sie betrachtet, obwohl die Eltern wussten, dass sie sterben würde. Ich schlage einige Hypothesen vor, um diese Aufnahme zu erklären:

  • Ein ausgetragenes Baby ist "anziehender" als ein Frühgeborenes, ungeachtet der Behinderung. Ich hatte in der Vergangenheit bereits ein Baby mit Anenzephalie gesehen, das in der 32. Woche geboren wurde, und es hatte mich viel mehr beeindruckt.
  • Die Wartezeit zwischen Diagnose und Geburt hat den Eltern erlaubt, den Trauerprozess bereits zu beginnen. Als ihr Kind zur Welt kam, konnten sie es im Zustand nahe der Akzeptanz aufnehmen, und nicht mehr in tiefer Trauer.
  • "Seinem Kind den Wert eines Menschen zu geben ist ein natürlicher, unmittelbarer Prozess, der bereits vor der Geburt beginnt (während der Schwangerschaft oder sogar vor der Zeugung). Dieser Vorgang wird bei der Ankündigung einer Behinderung hinterfragt. Die Vermenschlichung ereignet sich oder bleibt aus, je nach dem Gewicht des Bildes der Behinderung, dem Kinderwunsch, den aktuellen Fähigkeiten des Babys und der traumatischen Vorgeschichte der Eltern." (L'afrée, Heft nr. 6, "handicap, médecine, éthique" Dezember 1993). In dieser Situation war das Kind erwünscht und die Einstellung der Eltern gegenüber einer Behinderung war positiv, wessen Folge die Annahme und nicht etwa Ablehnung und Ausgrenzung waren. Das Kind hat spontan zu atmen begonnen und erlaubte so besonders der Mutter, es lebend zu entdecken und einige Stunden mit ihm zu verbringen. Sie hat es leidenschaftlich angeschaut, versuchte ähnlichkeiten mit seinen Geschwistern zu entdecken (die auch wirklich vorhanden waren!).
  • Mütter haben einen Blick für ihre Kinder, der verschieden ist zu dem einer aussenstehenden Person, da sie das Baby schon "von innen" kennen. Sie haben seine Bewegungen gespürt, sie haben zu ihm gesprochen, sie können es nicht einfach "vergessen", da es Platz in ihnen einnimmt. In diesem Fall war der Blick von Frau Jaquier besonders eindrücklich, erfüllt von bedingungsloser Liebe.
  • Frau Jaquier erwartete ihr viertes Kind, ihr Mutterinstinkt hatte Zeit sich aufzubauen. Sie wusste, wie sie ihr Kind aufnehmen wollte und konnte es ihren Erwartungen gemäss erleben.

Nach einiger Zeit kamen die Geschwister um das Baby zu sehen. Ihr Vater ging sie im Warteraum holen und führte sie zur Mutter. Es gab ihrerseits eine gewisse Besorgnis, vor allem bei der ältesten, doch die Kinder werden den Empfang, den die Eltern ihrer kleinen Schwester bereitet haben, sicherlich nie vergessen. Dieses Erlebnis wird ihre Sicht auf Behinderung prägen. Ihre behinderte Schwester mit eigenen Augen gesehen zu haben, wird ihnen erlauben, dieses Erlebnis zu verinnerlichen. Von Geheimnissen und Unausgesprochenem hervorgerufene Wahnvorstellungen und Verunsicherung wurden vermieden.

"Der Körper ist der Ansatzpunkt der Realität. Den Körper zu sehen ist dem Verlust ein Gesicht zu geben. Ist ihn Teil einer Geschichte werden zu lassen. Der Körper, der nicht gesehen wurde, hinterlässt einen flauen Eindruck." (profil femme, Seite 26, Nummer und Datum unbekannt).

Mehrere Fotos wurden gemacht, vom Kind alleine oder mit der Familie. Sie werden jedem erlauben, eine greifbare Erinnerung zu behalten.

Frau Jaquier hat ihr Kind während der ganzen Zeit im Gebärsaal in ihren Armen behalten. Nach ungefähr zwei Stunden wurde sie in ein Zimmer im oberen Stockwerk gebracht, und dort ist das Mädchen in den frühen Morgenstunden gestorben.

Das Pflegepersonal, hat diese zwar traurige und pathologische Situation intensiv aber dennoch friedlich erlebt. Dies war möglich dank der Achtung der Gefühle und überzeugungen dieser dem Anderssein gegenüber offenen Familie.

 

 

Letzte Aktualisierung dieser Seite: 23.02.2019